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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte.
    Schließlich ging ich ans Telefon und rief die Auskunft an.
    8
    In Derry gab es keinen Eintrag für Doris, Troy oder Harry Dunning. Als letzten Ausweg versuchte ich es mit Ellen, obwohl ich mir davon nichts versprach; selbst wenn sie noch in der Stadt lebte, würde sie vermutlich den Namen ihres Ehemanns angenommen haben. Aber Weitschüsse konnten Glückstreffer werden (wofür Lee Harvey Oswald ein besonders bösartiges Beispiel lieferte). Als der Auskunftsroboter tatsächlich eine Nummer ansagte, war ich so überrascht, dass ich keinen Bleistift zur Hand hatte. Statt noch einmal die Auskunft zu wählen, drückte ich die 1, um mit der gefundenen Nummer verbunden zu werden. Hätte ich mehr Zeit zum Nachdenken gehabt, hätte ich das vermutlich nicht getan. Manchmal wollten wir etwas nicht unbedingt wissen, stimmt’s? Manchmal fürchteten wir uns davor, es zu wissen. Wir wagten uns bis zu einem bestimmten Punkt vor, dann machten wir kehrt. Aber ich behielt tapfer den Hörer in der Hand, während das Telefon in Derry einmal, zweimal, dreimal klingelte. Nach dem nächsten Klingeln würde sich wahrscheinlich der Anrufbeantworter melden, und ich beschloss, keine Nachricht zu hinterlassen. Was hätte ich auch sagen sollen?
    Aber mitten im vierten Klingeln sagte eine Frauenstimme: »Hallo?«
    »Sind Sie Ellen Dunning?«
    »Na, das hängt davon ab, wer anruft, finde ich.« Das klang vorsichtig amüsiert. Ihre Stimme war rauchig und ein bisschen einschmeichelnd. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich mir statt einer Frau, die jetzt sechzig sein musste oder sehr kurz davor, eine Mittdreißigerin vorgestellt. Das ist die Stimme einer Frau, dachte ich, die sie professionell nutzt. Eine Sängerin? Eine Schauspielerin? Vielleicht auch Comedian (oder eher eine Comédienne)? Nichts davon erschien mir in Derry sehr wahrscheinlich.
    »Mein Name ist George Amberson. Ich habe vor langer Zeit Ihren Bruder Harry gekannt. Jetzt bin ich mal wieder in Maine und wollte versuchen, wieder Verbindung mit ihm aufzunehmen.«
    »Harry?« Sie klang überrascht. »O Gott! War das in der Army?«
    War es dort gewesen? Ich überlegte kurz und entschied mich dagegen. Zu viele potenzielle Fallstricke.
    »Nein, nein, in Derry. Als wir noch Kinder waren.« Ich hatte eine Inspiration. »Wir haben immer bei der Rec gespielt. Oft in derselben Mannschaft. Wir waren viel zusammen.«
    »Tja, tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, Mr. Amberson, aber Harry ist tot.«
    Im ersten Augenblick war ich sprachlos. Was am Telefon natürlich nicht förderlich war. Schließlich schaffte ich es, zu sagen: »Gott, das tut mir aber leid.«
    »Das ist schon lange her. In Vietnam. Bei der Tet-Offensive.«
    Mir war plötzlich so schlecht, dass ich mich hinsetzen musste. Ich hatte ihn davor bewahrt, sein Leben lang zu hinken und etwas zurückgeblieben zu sein, nur um sein Leben um ungefähr vierzig Jahre zu verkürzen? Großartig. Operation gelungen, Patient tot.
    Indessen musste die Show weitergehen.
    »Was ist mit Troy? Und Sie, wie geht es Ihnen? Sie waren damals ein kleines Mädchen, das auf einem Fahrrad mit Stützrädern herumgefahren ist. Und Sie haben gesungen, immer gesungen.« Ich versuchte mich an einem schwachen Lachen. »Gott, Sie haben uns echt genervt!«
    »Singen tue ich heutzutage nur noch, wenn im Bennigan’s Pub Karaoke-Nacht ist, aber quasseln kann ich immer noch ohne Ende. Ich arbeite als DJ bei dem Sender WKIT in Bangor. Sie wissen schon, als Discjockey.«
    »Mhm. Und Troy?«
    »Der führt la vida loca in Palm Springs. Er ist der reiche Kerl in unserer Familie. Hat im EDV -Geschäft Millionen verdient. War damals in den Siebzigern von Anfang an dabei. Geht mit Steve Jobs zum Lunch und solches Zeug.« Sie lachte. Es war ein wundervolles Lachen. Ich hätte wetten können, dass es überall im Osten von Maine Leute gab, die WKIT einschalteten, nur um dieses Lachen zu hören. Als sie weitersprach, war sie leiser und klang nicht mehr im Geringsten humorvoll. »Wer sind Sie wirklich, Mr. Amberson?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Am Wochenende mache ich Sendungen, bei denen die Hörer anrufen können. Samstags einen Flohmarkt – ›Ich hab eine Gartenfräse, Ellen, fast fabrikneu, aber ich kann die Raten nicht mehr zahlen und nehme das beste Angebot über fünfzig Dollar‹. So was in der Art. Sonntags geht’s um Politik. Die Leute rufen an, um Rush Limbaugh zu geißeln oder Glenn Beck als Präsidenten vorzuschlagen. Ich bin gut im

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