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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war. Im Sommer öffnete die Bibliothek erst mittags, blieb aber bis acht Uhr abends geöffnet. Ferngespräche gehörten zu den wenigen Dingen, die 1960 teurer als 2011 waren, aber dieses kindische Schuldgefühl ließ mich nicht los. Ich rief die Vermittlung des Hotels an und gab der Telefonistin die Nummer der Stadtbücherei, die ich von der hinten ins Buch geklebten Kartentasche ablas. Der kleine Hinweis darunter – Bitte rufen Sie uns an, wenn die Buchrückgabe sich um mehr als drei Tage verspätet – bewirkte, dass ich mir noch schäbiger vorkam.
    Meine Telefonistin sprach mit einer anderen Telefonistin. Hinter ihnen plapperten leise Stimmen. Mir wurde plötzlich bewusst, dass die meisten der hier Redenden in der Zeit, aus der ich kam, tot sein würden. Dann begann das Telefon am anderen Ende zu klingeln.
    »Hallo, Nokomis Public Library.« Es war Hattie Wilkersons Stimme, aber die nette alte Dame klang, als würde sie in einem riesigen Stahlfass stecken.
    »Hallo, Mrs. Wilkerson …«
    »Hallo? Hallo? Hören Sie mich? Verflixtes Ferngespräch!«
    »Hattie?« Ich brüllte jetzt. »Hier ist George Amberson!«
    »George Amberson? Großer Gott! Von wo aus rufen Sie an, George?«
    Ich hätte beinah die Wahrheit gesagt, aber mein Ahnungssonar ließ ein einzelnes überlautes Ping hören, und ich brüllte: »Baton Rouge!«
    »In Louisiana?«
    »Ja! Ich habe eines Ihrer Bücher! Das habe ich eben erst gemerkt! Ich schicke es Ihnen zur…«
    »Sie brauchen nicht zu schreien, George, die Verbindung ist jetzt viel besser. Die Telefonistin hatte bestimmt den kleinen Stecker nicht ganz reingeschoben. Ich freue mich ja so, von Ihnen zu hören. Es war Gottes Vorhersehung, dass Sie nicht da waren. Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht, obwohl der Feuerwehrkommandant gesagt hat, das Haus hätte leer gestanden.«
    »Wovon reden Sie eigentlich, Hattie? Von meinem Häuschen am Strand?«
    Wovon denn sonst?
    »Ja! Jemand hat eine mit Benzin gefüllte Brandflasche durchs Fenster geworfen. Das Haus ist binnen Minuten in Flammen aufgegangen. Feuerwehrchef Durand glaubt, dass es Jugendliche waren, die dort draußen getrunken und gefeiert haben. Es gibt heutzutage so viele schwarze Schafe. Das kommt daher, dass sie Angst vor der Bombe haben, sagt mein Mann.«
    Aha.
    »George? Sind Sie noch da?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Welches Buch haben Sie?«
    »Was?«
    »Welches Buch haben Sie? Ich will nicht erst in der Kartei nachsehen müssen.«
    »Oh. Den Chapman-Report .«
    »Nun, schicken Sie es bitte zurück, sobald Sie können, ja? Hier warten ziemlich viele Leute darauf. Irving Wallace ist äußerst beliebt.«
    »Ja«, sagte ich. »Das tue ich natürlich.«
    »Und das mit Ihrem Haus tut mir leid. Haben Sie Ihre Sachen verloren?«
    »Ich habe alles Wichtige bei mir.«
    »Gott sei Dank! Kommen Sie bald zur…«
    Ich hörte ein schmerzhaft lautes Klicken, dann das leise Schnarren einer freien Leitung. Ich legte langsam den Hörer auf. Würde ich bald zurückkommen? Ich hielt es für unnötig, noch einmal anzurufen, um diese Frage zu beantworten. Aber ich würde mich vor der Vergangenheit in Acht nehmen müssen, denn sie spürte, wer Änderungen bewirken konnte, und hatte scharfe Zähne.
    Am folgenden Morgen schickte ich als Erstes den Chapman-Report an die Stadtbücherei in Nokomis zurück.
    Dann fuhr ich weiter nach Dallas.
    8
    Drei Tage später saß ich auf der Dealey Plaza auf einer Bank und betrachtete den Klinkerwürfel des Texas School Book Depository, eines Auslieferungslagers für Schulbücher. Der Spätnachmittag war glühend heiß. Ich hatte meine Krawatte gelockert (wenn man 1960 keine Krawatte trug, erregte man, selbst an heißen Tagen, leicht unerwünschte Aufmerksamkeit) und den obersten Knopf meines weißen Oberhemds geöffnet, aber selbst das nutzte nicht viel. Das galt auch für den kümmerlichen Schatten der Ulme neben meiner Bank.
    Als ich ins Hotel Adolphus in der Commerce Street eincheckte, wurde ich vor eine Wahl gestellt, die es im Jahr 2011 nicht mehr gab: Klimaanlage oder keine Klimaanlage. Ich leistete mir die zusätzlichen fünf Dollar für ein Zimmer, in dem ein Klimagerät am Fenster die Temperatur tatsächlich auf 25 Grad herunterkühlte, und wenn ich einen Funken Verstand gehabt hätte, wäre ich jetzt dorthin zurückgegangen, bevor mich ein Hitzschlag aus den Latschen kippen ließ. Nachts würde es hoffentlich etwas kühler werden. Wenigstens ein bisschen.
    Aber dieser Klinkerwürfel zog meinen Blick auf sich, und die

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