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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Fenster – vor allem das in der rechten Ecke des fünften Stocks – schienen mich forschend zu betrachten. Das Gebäude hatte etwas greifbar Unrichtiges an sich. Das könnten Sie – falls es jemals ein Sie gibt – spöttisch abtun, indem Sie es auf mein einzigartiges Vorauswissen zurückführen, aber das wäre keine Erklärung für das, was mich tatsächlich trotz der Bruthitze auf dieser Bank hielt. Schuld daran war mein Gefühl, dieses Gebäude schon einmal gesehen zu haben.
    Es erinnerte mich ans Eisenwerk Kitchener in Derry.
    Das Büchermagazin war zwar keine Ruine, aber es vermittelte denselben Eindruck von vernunftbegabter Bösartigkeit. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf den umgestürzten und rußgeschwärzten Fabrikschornstein gestoßen war, der wie eine in der Sonne dösende, riesige Urweltschlange im Unkraut lag. Ich erinnerte mich, wie ich in diese dunkle Röhre geblickt hatte, in die ich hätte aufrecht hineingehen können. Und ich erinnerte mich an das Gefühl, dass dort drinnen irgendetwas hauste. Etwas Lebendiges. Etwas, das wollte, dass ich hineinging. Damit ich es besuchte. Vielleicht für lange, lange Zeit.
    Komm doch rein, flüsterte das Fenster im fünften Stock. Sieh dich um. Das Gebäude ist leer; das wenige Stammpersonal, das im Sommer hier arbeitet, ist nach Hause gegangen, aber wenn du nach hinten zur Laderampe am Gleisanschluss gehst, findest du eine offene Tür, da bin ich mir ganz sicher. Was gibt es hier drinnen schließlich vor Diebstahl zu schützen? Nichts als Schulbücher, und selbst die Schüler, für die sie bestimmt sind, wollen sie eigentlich nicht. Das weißt du selbst am besten, Jake. Komm also rein. Komm in den fünften Stock rauf. In deiner Zeit gibt es hier oben ein Museum; Menschen aus aller Welt besuchen es, und manche weinen immer noch um den Mann, der von hier aus erschossen wurde – und um alles, was er hätte tun können –, aber wir schreiben das Jahr 1960, Kennedy ist noch Senator, und Jake Epping existiert nicht. Das tut nur George Amberson: ein Mann mit kurzem Haarschnitt, durchgeschwitztem Hemd und gelockerter Krawatte. Sozusagen ein Mann seiner Zeit. Also komm rauf! Oder hast du Angst vor Gespenstern? Wie könnte es welche geben, wenn das Verbrechen noch gar nicht begangen worden ist?
    Aber dort oben gab es Gespenster. Vielleicht nicht auf der Magazine Street in New Orleans, aber hier? O ja! Nur würde ich ihnen nie entgegentreten müssen, weil ich das Büchermagazin so wenig betreten würde wie den umgestürzten Fabrikschornstein in Derry. Oswald würde seinen Job als Lagerarbeiter erst ungefähr einen Monat vor dem Attentat bekommen, und bis dahin zu warten wäre bei Weitem zu knapp gewesen. Nein, ich wollte mich an den Plan halten, den Al im letzten Teil seiner Notizen unter der Überschrift SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜRS WEITERE VOR GEHEN skizziert hatte.
    Obwohl das Attentat nach Als Überzeugung von einem Einzeltäter verübt worden war, hatte er an der kleinen, aber statistisch bedeutsamen Möglichkeit festgehalten, dass er sich irren könnte. In seinen Notizen bezeichnete er sie als Fenster der Ungewissheit.
    Wie in Fenster im fünften Stock .
    Er hatte vorgehabt, dieses Fenster endgültig am 10. April 1963 zu schließen – über ein halbes Jahr vor Kennedys Reise nach Dallas –, und ich fand die Idee vernünftig. Vielleicht später im April 1963, vielleicht auch schon am Abend des 10. Aprils – wozu noch warten –, würde ich Marinas Ehemann und Junes Vater ermorden, genau wie ich Frank Dunning erschossen hatte. Und zwar ohne Gewissensbisse. Wenn man ein Baby hatte und eine Spinne über den Fußboden auf dessen Bettchen zukrabbeln sah, zögerte man vielleicht. Man könnte sogar daran denken, sie mit einem Staubtuch zu fangen und im Garten auszusetzen, damit sie ihr kleines Leben weiterleben konnte. Aber wenn man wusste, dass die Spinne giftig war? Eine Schwarze Witwe? In diesem Fall würde man nicht zögern. Nicht, wenn man bei Verstand war.
    Man würde einen Fuß auf sie setzen und sie zertreten.
    9
    Für die Zeit zwischen August 1960 und April 1963 hatte ich einen eigenen Plan. Ich würde Oswald im Auge behalten, wenn er aus Russland heimkehrte, allerdings ohne mich einzumischen. Das durfte ich mir wegen des Schmetterlingseffekts nicht leisten. Sollte es im Englischen eine dämlichere Metapher als eine Kette von Ereignissen geben, kenne ich sie nicht. Ketten (außer natürlich die, die wir im Kindergarten aus farbigem Papier zu machen gelernt

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