Der Anschlag - King, S: Anschlag
Mädchen in löchrigen, rosa Shorts kickte einen Fußball gegen die Hauswand. Immer wenn er an die Holzverkleidung knallte, sagte sie: »Tschumba!«
Eine Frau mit großen, blauen Lockenwicklern und einer in den Mundwinkel geklemmten Zigarette steckte den Kopf aus dem Fenster und kreischte: »Mach so weiter, Rosette, dann komm ich raus und brat dir eins über!« Dann sah sie mich. »Was wolln Se hier? Wenn’s wegen ’ner Rechnung is, kann ich Ihn nich helfn. Das macht alles mein Mann. Und der hat heut Arbeit.«
»Es geht um keine Rechnung«, sagte ich. Rosette kickte den Fußball in meine Richtung – mit einem Fauchen, das zu einem widerstrebenden Lächeln wurde, als ich ihn mit dem Innenrist stoppte und weich zurückspielte. »Ich wollte Sie nur einen Augenblick sprechen.«
»Dann müssn Sie warten. Bin nicht anständig angezogn.«
Ihr Kopf verschwand. Ich wartete. Rosette schoss wieder, diesmal hoch und weit (»Tschumba!«), aber ich schaffte es, den Ball mit einer Hand abzufangen, bevor er die Hauswand traf.
»Man darf keine Hand nich nehm, alter Drecksack«, sagte sie. »Das gibt ’nen Strafstoß.«
»Rosette, was hab ich dir wegen deim gottverdammtn Mundwerk gesagt?« Die Mutter trat auf das Podest vor der Haustür und zog ein schmuddeliges, gelbes Kopftuch über ihren Lockenwicklern fest. Damit sah sie wie ein verpupptes Insekt aus, das nach dem Schlüpfen möglicherweise giftig war.
»Alter beschissener Drecksack!«, kreischte Rosette, dann flitzte sie die Mercedes Street in Richtung des Lagerhauses von Montgomery Ward entlang, trieb ihren Fußball vor sich her und lachte wie verrückt.
»Was wolln Se?« Die Mutter war vielleicht zweiundzwanzig, schien aber deutlich auf die fünfzig zuzugehen. Ihr fehlten mehrere Zähne, sie hatte ein verblassendes Veilchen, und auch sie war schwanger.
»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte ich.
»Was macht mein Kram zu Ihrm Kram?«
Ich zückte meine Geldbörse und hielt ihr einen Fünfdollarschein hin. »Stellen Sie mir keine Fragen, dann erzähle ich Ihnen keine Lügen.«
»Sie sin nich von hier. Redn wie ’n Yankee.«
»Wollen Sie dieses Geld oder nicht, Missus?«
»Hängt von den Fragn ab. Meine gottverdammte BH -Größe erfahrn Se nich.«
»Als Erstes möchte ich wissen, wie lange Sie schon hier wohnen.«
»In diesm Haus? Sechs Wochn, schätz ich. Harry hat gedacht, er könnt im Lagerhaus unterkomm, aber die Ärsche stelln nich ein. Also is er zu Manpower gegang. Wissn Se, was das is?«
»Arbeit im Tagelohn?«
»Yeah, und er arbeitet mit ’ner Bande gottverdammter Nigger.« Nur klang arbeitet aus ihrem Mund wie abbeided . »Neun Dollar am Tag dafür, dass er mit ’ner Bande gottverdammte Nigger im Straßenbau schuftet. Ihm kommt’s vor, wie wenn er wieder im Strafvollzug in West Texas is.«
»Wie viel Miete zahlen Sie?«
»Fünfzig im Monat.«
»Möbliert?«
»Teils. Na ja, könnt man sagn. Wir ham ein gottverdammtes Bett und ’nen gottverdammten Gasherd, der uns bestimmt mal alle umbring wird. Und ich nehm Se nich als Untermieter, sparn Se sich die Frage. Ich hab keine gottverdammte Ahnung, wer Sie sind.«
»Gehören zu der Möblierung auch Lampen und solche Sachen?«
»Sie sind verrückt, Mister.«
»Ja oder nein?«
»Yeah, ein paar. Eine, die brennt, und eine, die’s nich tut. Ich bleib nich hier, will gottverdammt sein, wenn ich’s tu. Er sagt, dass er nich wieder bei meiner Mama untn in Mozelle einziehen will, aber da hat er eben Pech. Ich bleib auf kein Fall hier. Riechn Sie, wie’s hier stinkt?«
»Ja, Ma’am.«
»Das is nichts als Scheiße, Sohnemann. Keine Katznscheiße, keine Hundescheiße, das is Menschenscheiße. Mit Niggern arbeitn, das is die eine Sache, aber wie einer lebn? Nee, Sir. Sind Se fertig?«
Noch nicht ganz, obwohl ich mir wünschte, ich wäre fertig. Ich war von ihr angewidert – und von mir, weil ich mir anmaßte, über sie zu urteilen. Sie war eine Gefangene ihrer Zeit, ihrer Entscheidungen und dieser nach Scheiße riechenden Straße. Aber es waren die Lockenwickler unter dem gelben Kopftuch, die ich immer wieder anstarrte. Dicke, blaue Käfer, die darauf warteten, ihre Eier legen zu können.
»Hier bleibt wohl niemand lange?«
»Inner ’Cedes Street?« Sie wies mit ihrer Zigarette auf die unbefestigte Straße, die zu dem verlassenen Parkplatz und dem riesigen Lagerhaus führte, das voller hübscher Dinge war, die sie nie besitzen würde. Auf die dicht nebeneinander gebauten Bruchbuden
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