Der Anschlag - King, S: Anschlag
sagen, dass sein Laden dank Moxie (das er nicht führte … noch nicht) noch an der Kreuzung Main Street und Old Lewiston Road stehen würde, wenn er längst nicht mehr war. »Danke für das Root Beer.«
»Kommen Sie gern wieder, junger Mann. Ich denke an eine Preissenkung für Großabnehmer.«
»Auf einen Dime?«
Er grinste. Sein Lächeln war wie das seines Sohns ungezwungen und offen. »Jetzt kochen Sie mit Gas!«
Die Türglocke bimmelte. Drei Ladys kamen herein. Nicht in Hosen; sie trugen Kleider, die gut eine Handbreit unter dem Knie endeten. Und Hüte! Zwei mit aufgesteckten kleinen, weißen Schleiern. Sie fingen an, die Obstkisten auf der Suche nach Vollkommenheit zu durchwühlen. Ich wandte mich von der Theke ab, aber dann fiel mir etwas ein, und ich drehte mich noch einmal um.
»Können Sie mir sagen, was ein Greenfront ist?«
Vater und Sohn wechselten einen amüsierten Blick, der mich an einen alten Witz erinnerte. Ein Tourist aus Chicago hält mit seinem Luxussportwagen weit draußen auf dem Land vor einem Farmhaus. Auf der Veranda sitzt der Farmer und raucht eine Mais kolbenpfeife. Der Tourist beugt sich aus dem Jaguar und fragt: »He, Alter, können Sie mir sagen, wie ich nach East Machias komme?« Der alte Farmer pafft sekundenlang nachdenklich seine Pfeife, dann sagt er: »Fahrn Sie keinen gottverdammten Zentimeter weiter.«
»Sie sind wirklich nicht aus Maine, stimmt’s?«, fragte Frank. Sein Akzent war weniger stark ausgeprägt als der seines Vaters. Wahrscheinlich saß er mehr vor dem Fernseher, dachte ich. Nichts ließ Dialekte schneller erodieren als das Fernsehen.
»Stimmt«, sagte ich.
»Komisch, ich könnte nämlich schwören, einen kleinen Yankee-Anklang herauszuhören.«
»Da haben die Yoopers abgefärbt«, sagte ich. »Sie wissen schon, die Upper Peninsula.« Allerdings – verflixt! – lag die U. P. in Michigan.
Aber keiner der beiden schien das zu merken. Der junge Frank wandte sich sogar ab und fing an, Geschirr zu spülen. Per Hand, wie mir gleich auffiel.
»Das Greenfront ist der Spirituosenladen«, sagte Anicetti. »Gleich gegenüber, wenn Sie eine Flasche von irgendwas mitnehmen wollen.«
»Root Beer genügt mir vollauf«, sagte ich. »Ich war nur neu gierig. Schönen Tag noch.«
»Ihnen auch, mein Freund. Kommen Sie bald wieder.«
Ich umrundete das Trio, das die Orangen begutachtete, und murmelte im Vorbeigehen: »Ladys.« Und wünschte mir, ich hätte einen Hut, den ich dazu lüften könnte. Vielleicht einen Fedora.
Wie die, die man in alten Filmen sah.
6
Der aufstrebende junge Ganove hatte seinen Posten verlassen, und ich spielte mit dem Gedanken, die Main Street entlangzugehen, um zu sehen, was sonst noch anders war – aber nur eine Sekunde lang. Ich durfte nicht übermütig werden. Was war, wenn jemand nach meiner Kleidung fragte? Ich fand, dass mein Sportsakko und meine Slacks mehr oder weniger alltäglich aussahen, aber wusste ich das bestimmt? Und dazu kamen meine Haare, die ich kragenlang trug. In meiner Zeit galt das als völlig normal für einen Highschool-Lehrer – eher sogar konservativ –, aber in einem Jahrzehnt, in dem zu einem gewöhnlichen Haarschnitt das Ausrasieren des Nackens gehörte und Koteletten für Rockabilly-Typen reserviert waren wie den Jüngling, der mich Daddy-O genannt hatte, zog es womöglich neugierige Blicke auf sich. Ich konnte mich natürlich als Tourist ausgeben und behaupten, in Wisconsin trügen alle Männer die Haare etwas länger, diese Mode sei schwer im Kommen, aber Frisur und Kleidung – dieses Gefühl, wie ein Alien in einem unvollkommenen Menschenkostüm aufzufallen – waren nur ein Teil davon.
Im Wesentlichen war ich einfach verängstigt. Nicht kurz vor einem Nervenzusammenbruch, denn ich glaube, dass ein einigermaßen gut justierter menschlicher Verstand viel Seltsames vertragen kann, bevor er tatsächlich ins Wanken gerät, aber verängstigt, ja. Ich musste immer wieder an die Frauen in ihren langen Kleidern und Hüten denken: Frauen, denen es peinlich gewesen wäre, auch nur den Rand eines BH -Trägers in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Und an den Geschmack des Root Beer. Wie gehaltvoll es gewesen war.
Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite sah ich eine bescheidene Ladenfront mit einem kleinen Schaufenster, über dem in erhabenen Buchstaben MAINE STATE LIQUOR STORE stand. Und ja, die Fassade war in blassem Hellgrün gehalten. Drinnen konnte ich eben noch meinen Freund vom Trockenschuppen
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