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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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erschüttert. Hast du das alles zufällig entdeckt?«
    »Ganz und gar zufällig. Kaum einen Monat nachdem ich hier sesshaft geworden bin. Ich muss den Staub der Pine Street noch an den Schuhen gehabt haben. Beim ersten Mal bin ich die Treppe sogar richtig runtergefallen – wie Alice in den Kaninchenbau. Ich hab gedacht, ich wär übergeschnappt.«
    Das konnte ich mir vorstellen. Ich war wenigstens in den Genuss einer gewissen Vorbereitung gekommen, auch wenn sie unzulänglich gewesen war. Aber war es überhaupt möglich, jemand ausreichend auf eine Reise in die Vergangenheit vorzubereiten?
    »Wie lange war ich weg?«
    »Zwei Minuten. Ich hab dir doch gesagt, dass es immer zwei Minuten sind. Ganz gleich, wie lange man bleibt.« Er hustete, spuckte in mehrere frische Servietten, faltete sie zusammen und steckte sie ein. »Und wenn du die Treppe hinuntergehst, ist es immer 11.58 Uhr am 9. September 1958. Jeder Trip ist der erste Trip. Wo warst du?«
    »In der Kennebec Fruit. Ich habe ein Root Beer getrunken. Es war fantastisch.«
    »O ja, dort drüben schmeckt alles besser. Weniger Konservierungsmittel und so.«
    »Kennst du Frank Anicetti? Ich habe ihn als Siebzehnjährigen kennengelernt.«
    Irgendwie erwartete ich trotz allem, dass Al darüber lachen würde, aber er nahm das als selbstverständlich hin. »Klar, ich bin Frank schon oft begegnet. Aber er lernt mich nur ein Mal kennen – damals, meine ich. Für Frank ist jedes Mal das erste Mal. Er kommt rein, stimmt’s? Von der Chevron-Tankstelle. ›Titus hat den Truck auf der Hebebühne‹, erzählt er seinem Dad. ›Bis fünf ist er fertig‹, sagt er. Das habe ich schon fünfzigmal gehört, mindestens. Ich gehe nicht immer in die Fruit, wenn ich dort bin, aber wenn, höre ich genau das. Dann kommen die Frauen herein, um den Inhalt der Obstkisten zu begutachten. Mrs. Symonds und ihre Freundinnen. Alles ist so, als ginge man wieder und immer wieder in denselben Film.«
    »Jedes Mal ist das erste Mal.« Das sagte ich langsam, mit deutlichen Pausen zwischen den Wörtern. Damit sie vielleicht wirklich einen Sinn ergaben.
    »Richtig.«
    »Und jeder, dem du begegnest, lernt dich erstmals kennen, auch wenn ihr euch womöglich schon oft begegnet seid?«
    »Richtig.«
    »Ich könnte also zurückgehen und dieselbe Unterhaltung mit Frank und seinem Dad führen, ohne dass die beiden von meinem vorigen Besuch wüssten?«
    »Wieder richtig. Oder du könntest etwas ändern – indem du beispielsweise kein Root Beer, sondern ein Bananensplit bestellst –, und ab dann würde eure Unterhaltung eine andere Richtung nehmen. Der Einzige, der zu ahnen scheint, dass irgendwas nicht stimmt, ist der Mann mit der gelben Karte, und der hat sich so dumm gesoffen, dass er keinen Schimmer hat, was er empfindet. Das heißt, wenn ich recht habe und er überhaupt etwas empfindet. Falls ja, liegt das nur daran, dass er zufällig in der Nähe des Kaninchenbaus hockt. Oder was immer das ist. Vielleicht ist es von einer Art Kraftfeld umgeben, das …«
    Er fing wieder an zu husten und konnte nicht weiterreden. Beobachten zu müssen, wie er sich zusammenkrümmte, sich die Seiten hielt und mich nicht merken lassen wollte, wie schmerzhaft sein Husten war – wie der Husten ihn innerlich zerriss –, war schmerzlich für mich. So konnte er nicht weitermachen, dachte ich. Er war keine Woche mehr vom Krankenhaus entfernt, vielleicht nur Tage. Und hatte er mich nicht deswegen zu sich gerufen? Weil er dieses erstaunliche Geheimnis an jemand weitergeben musste, bevor der Krebs ihn für immer zum Schweigen brachte?
    »Ich dachte, ich könnte dir die ganze Geschichte an einem Nachmittag erzählen, aber das kann ich nicht«, sagte Al, als er sich wieder im Griff hatte. »Ich muss heimfahren, etwas von meinem Dope schlucken und die Füße hochlegen. Ich habe mein Leben lang nichts Stärkeres als Aspirin genommen, und von diesem Oxy-Scheiß bin ich sofort weg. Ich schlafe ungefähr sechs Stunden lang und fühle mich dann eine Zeit lang besser. Ein bisschen stärker. Kannst du so gegen halb zehn zu mir kommen?«
    »Wenn ich wüsste, wo du wohnst«, sagte ich.
    »In einem Häuschen in der Vining Street. Nummer neunzehn. Du erkennst es an dem Gartenzwerg im Vorgarten. Gar nicht zu übersehen. Er schwenkt eine Fahne.«
    »Worüber sollen wir noch reden, Al? Ich meine … du hast es mir demonstriert . Ich glaube dir jetzt.« Das tat ich … aber wie lange würde ich das tun? Mein Kurzbesuch im Jahr 1958 hatte bereits

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