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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sauftouren gut erinnerte: den scharfen Geruch von Erbrochenem.
    Ich lief den kurzen Flur hinter dem Wohnzimmer entlang. Dort lagen sich zwei Türen gegenüber: eine in ihr Schlafzimmer, die andere in ein Arbeitszimmer. Diese Türen waren geschlossen, aber die Badezimmertür am Ende des Flurs stand offen. Grelles Neonlicht zeigte mir Erbrochenes, das auf die Klobrille gespritzt war. Auch auf dem rosa gefliesten Boden und dem Badewannenrand war welches zu erkennen. Auf dem Waschbecken stand neben der Seifenschale ein Tablettenfläschchen. Der Deckel war abgeschraubt. Ich rannte ins Schlafzimmer.
    Sie lag schräg über der zusammengeschobenen Tagesdecke. Sie trug einen Unterrock und einen Wildledermokassin. Der andere war zu Boden gefallen. Ihre Haut hatte die Farbe von altem Kerzenwachs, und sie schien nicht zu atmen. Dann holte sie mit einem lauten Schnarchen gewaltig tief Luft und stieß sie keuchend wieder aus. Bis ihr Brustkorb sich zum nächsten Atemzug hob, verstrichen erschreckende vier Sekunden. Auf dem Nachttisch stand ein weiterer überquellender Aschenbecher. Auf den Kippen lag eine zusammengeknüllte Winston-Packung, die an einem Ende von einer nicht ganz ausgedrückten Zigarette angesengt worden war. Neben dem Aschenbecher standen ein halb leeres Glas und eine Flasche Glenlivet. Von dem Scotch fehlte nicht viel – immerhin ein kleiner Trost –, aber es war eigentlich nicht der Scotch, der mir Sorgen machte. Es waren die Tabletten. Auf dem Nachttisch lag auch ein fester, brauner Umschlag, aus dem ein paar Fotos herauslugten, aber ich vergeudete keinen Blick darauf. Nicht gleich.
    Ich schlang die Arme um Sadie und versuchte, sie in eine sitzende Position hochzuziehen. Der Unterrock war aus Seide und rutschte mir durch die Hände. Sie sackte aufs Bett zurück und holte wieder mühevoll keuchend Luft. Die Haare fielen ihr über die geschlossenen Augen.
    »Sadie, wach auf!«
    Nichts. Ich packte sie an den Schultern und hievte sie am Kopf ende des Bettes hoch. Sie prallte dagegen und ließ es erzittern.
    »La mi ’n Ruhe.« Schwach und undeutlich, aber besser als nichts.
    »Wach auf, Sadie! Du musst aufwachen!«
    Ich begann, sie ganz leicht zu ohrfeigen. Ihre Augen blieben geschlossen, aber sie hob die Hände und machte schwache Versuche, mich abzuwehren.
    »Wach auf! Wach auf, verdammt noch mal!«
    Sie öffnete die Augen, starrte mich an, ohne mich zu erkennen, und schloss sie wieder. Aber sie atmete etwas normaler. Seit sie saß, war das schreckliche Keuchen nicht mehr zu hören.
    Ich ging zurück ins Bad, kippte ihre Zahnbürste aus dem rosa Plastikbecher und ließ kaltes Wasser hineinlaufen. Dabei las ich das Etikett des Tablettenfläschchens. Nembutal. In dem Fläschchen waren zehn bis zwölf Kapseln übrig, also handelte es sich hier nicht um einen Selbstmordversuch. Zumindest keinen offenkundigen. Ich kippte sie in die Toilette , dann lief ich wieder ins Schlafzimmer. Sadie glitt aus der Sitzposition, in der ich sie zurückgelassen hatte, langsam nach unten, und weil der Kopf dabei nach vorn sackte, sodass ihr Kinn fast auf dem Brustbein ruhte, atmete sie wieder keuchend.
    Ich stellte den Becher mit Wasser auf den Nachttisch und erstarrte sekundenlang, als mein Blick auf eines der aus dem Umschlag herausragenden Fotos fiel. Es konnte eine Frau sein – die noch vorhandenen Haare waren lang –, aber mit Gewissheit ließ sich das nicht sagen. Wo ihr Gesicht hätte sein sollen, war nur rohes Fleisch zu sehen, mit einem Loch im unteren Bereich. Das Loch schien zu schreien.
    Ich hievte Sadie wieder hoch, packte ihre Haare und zog den Kopf nach hinten. Sie stöhnte etwas, was vielleicht Nicht, das tut weh heißen sollte. Dann kippte ich ihr das Wasser ins Gesicht. Sie fuhr zusammen und riss die Augen auf.
    »Jor? Wa machstu hier, Jor? Waum bin ich nass?«
    »Aufwachen! Wach auf, Sadie.« Ich schlug ihr wieder ins Gesicht, aber noch vorsichtiger, fast nur tätschelnd. Es genügte nicht. Ihre Augen schlossen sich langsam wieder.
    »Geh … weg! «
    »Nein, außer du willst, dass ich einen Krankenwagen rufe. Dann kannst du deinen Namen in der Zeitung lesen. Das würde dem Schulausschuss sicher gefallen. Und hopp!«
    Ich schaffte es, die Hände hinter ihrem Körper zu falten und sie vom Bett zu ziehen. Ihr Unterrock schob sich hoch, glitt aber wieder herab, als sie auf dem Teppich auf die Knie sank. Sie riss die Augen auf und schrie vor Schmerzen auf, aber ich schaffte es trotzdem, sie auf die Beine zu stellen.

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