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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Einzige, die Zuflucht bei Tabletten und Alkohol gesucht hatte? Wie verzweifelt wurde jetzt vermutlich im Ivy Room getrunken? Ich hatte dummerweise angenommen, die Menschen würden mit der kubanischen Raketenkrise wie mit jeder anderen internationalen Konfrontation umgehen, denn als ich studiert hatte, war die sogenannte Kubakrise nur ein weiterer Schnittpunkt von Namen und Daten gewesen, die man für die nächste Zwischenprüfung auswendig lernen musste. So sahen die Dinge aus der Zukunft betrachtet aus. Menschen im Tal (im dunklen Tal) der Gegenwart sahen sie anders.
    »Die Bilder waren hier, als ich aus Reno zurückgekommen bin.« Sie sah mich mit gehetztem Blick aus blutunterlaufenen Augen an. »Ich wollte sie wegwerfen, aber ich konnte nicht. Ich habe sie mir immer wieder angesehen.«
    »Genau das wollte der Scheißkerl. Deshalb hat er sie geschickt.«
    Sie schien mich nicht gehört zu haben. »Statistik ist sein Hobby. Er sagt, dass sie irgendwann, wenn die Computer gut genug sind, die wichtigste Wissenschaft sein wird, weil Statistik sich niemals irrt.«
    »Stimmt nicht.« Vor meinem inneren Auge stand George de Mohrenschildt, der Charmeur, der Oswalds einziger Freund war. »Ein gewisser Rest Unsicherheit bleibt immer.«
    »Ich schätze, dass der Tag von Johnnys Supercomputern nie kommen wird«, sagte sie. »Die Überlebenden – falls es welche gibt – werden in Höhlen hausen. Und der Himmel … wird nicht mehr blau sein. Nukleare Finsternis, so nennt Johnny das.«
    »Er labert nur Schwachsinn, Sadie. Dein Kumpel Roger auch.«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihre blutunterlaufenen Augen betrachteten mich traurig. »Johnny hat gewusst, dass die Russen einen Satelliten ins All schießen würden. Damals hatten wir gerade unser Studium abgeschlossen. Er hat es mir im Sommer erzählt, und tatsächlich haben sie im Oktober den Sputnik gestartet. ›Als Nächstes schicken sie einen Hund oder einen Affen rauf‹, hat Johnny ge sagt. ›Danach einen Mann. Dann zwei Männer und eine Bombe.‹«
    »Und haben sie das getan? Haben sie das, Sadie?«
    »Sie haben den Hund raufgeschickt und den Mann auch. Die Hündin hieß Laika, weißt du noch? Sie ist dort oben gestorben. Armes Hundchen. Die beiden Männer und die Bombe brauchen sie nicht raufzuschicken, stimmt’s? Sie werden ihre Raketen einsetzen. Und wir unsere. Alles wegen einer Scheißinsel, auf der sie Zigarren machen.«
    »Weißt du, was die Zauberkünstler sagen?«
    »Die …? Wovon redest du?«
    »Sie sagen, dass man einen Wissenschaftler täuschen kann, aber niemals einen anderen Zauberkünstler. Dein Ex unterrichtet viel leicht Naturwissenschaften, aber er ist todsicher kein Zauberkünst ler. Andererseits sind die Russen welche.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Johnny sagt, dass die Russen kämpfen müssen, weil sie uns auf dem Raketensektor nicht mehr lange überlegen sein werden. Deshalb werden sie in Kuba nicht zurückweichen. Kuba ist ein Vorwand.«
    »Johnny hat zu viele Wochenschauen gesehen, in denen am 1. Mai Raketen über den Roten Platz gekarrt werden. Aber er weiß nicht – und Senator Kuchel weiß es wohl auch nicht –, dass mehr als die Hälfte dieser Raketen über kein Triebwerk verfügen.«
    »Du weißt nicht … du kannst nicht …«
    »Er weiß nicht, wie viele ihrer Interkontinentalraketen auf den Startrampen in Sibirien explodieren, weil das Bedienungspersonal unfähig ist. Er weiß nicht, dass über die Hälfte der Raketen, die unsere U-2 -Aufklärer fotografiert haben, in Wirklichkeit angemalte Baumstämme mit Steuerflossen aus Pappe sind. Das ist ein Taschenspielertrick, Sadie. Er täuscht Wissenschaftler wie Johnny und Politiker wie Senator Kuchel, aber einen anderen Zauberkünstler könnte er niemals täuschen.«
    »Das ist … das ist kein …« Sie schwieg einen Augenblick und biss sich dabei auf die Unterlippe. Dann sagte sie: »Woher solltest du solches Zeug wissen?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Dann kann ich dir nicht glauben. Johnny hat gesagt, dass die Demokraten Kennedy als Kandidaten aufstellen würden, obwohl alle dachten, sie würde Humphrey vorziehen, weil Kennedy katholisch ist. Er hat die Staaten, in denen es Vorwahlen gab, analysiert, seine Chancen ausgerechnet und recht behalten. Er hat gesagt, dass Kennedy mit Johnson antreten würde, weil Johnson der einzige Südstaatler war, der nördlich der Mason-Dixon-Linie akzeptiert werden würde. Auch damit hat er recht gehabt. Kennedy ist gewählt worden, und

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