Der Anschlag - King, S: Anschlag
pünktlich nach Hause, manchmal sogar mit Blumen. Marina begrüßte ihn mit Küssen. Einmal zeigte sie ihm den Vorgarten, in dem sie allen Müll aufgesammelt hatte, und er applaudierte ihr. Darüber musste sie lachen, und als sie das tat, sah ich, dass ihre Zähne saniert waren. Ich weiß nicht, wie viel George Bouhe damit zu tun hatte, aber vermutlich eine ganze Menge.
Als ich diese Szene von der Straßenecke aus beobachtete, erschreckte mich wieder die Stimme der alten Dame mit der Gehhilfe. »Das hält bestimmt nicht.«
»Da könnten Sie recht haben«, sagte ich.
»Wahrscheinlich bringt er sie um. So was kenn ich.« Die Augen unter ihren gesträubten Haaren musterten mich mit kalter Verachtung. »Und Sie würden nicht eingreifen, stimmt’s, Sie Waschlappen?«
»Doch, das tue ich«, sagte ich zu ihr. »Wenn’s schlimm genug wird, greife ich ein.«
Das war ein guter Vorsatz, den zu halten ich entschlossen war, allerdings nicht um Marinas willen.
8
Am Tag nach dem zweiten Weihnachtstag lag in meinem Briefkasten eine Mitteilung von Oswald, auch wenn sie mit A. Hidell unterschrieben war. Dieser Deckname stand in Als Notizen. Das A bedeutete Alek – Marinas Kosename für ihn, als sie noch in Minsk gelebt hatten.
Seine Mitteilung machte mir keine Sorge, weil alle Bewohner unserer Straße sie erhalten zu haben schienen. Die Handzettel waren auf grellrosa Papier gedruckt (vermutlich an Lees jetzigem Arbeitsplatz geklaut), und ich sah ein gutes Dutzend davon im Rinnstein flattern. Im Stadtteil Oak Cliff in Dallas hielt man nicht viel davon, Abfälle ordentlich zu entsorgen.
PROTESTIERT GEGEN DEN FASCHISMUS AUF KANAL 9! BASIS DES SEGREGATIONISTEN BILLY JAMES HARGIS! PROTESTIERT GEGEN DEN FASCHISTISCHEN EXGENERAL EDWIN WALKER!
Am Donnerstagabend wird Kanal 9 während der Ausstralung von Billy James Hargis’ sogenanntem »Christlichen Kreuzzug« GENERAL EDWIN WALKER , einem rechtsextremen Faschisten, der JFK ermunert hat, das friedliche kubanische Volk zu überfallen, und der im gesamten Süden eine gegen Schwarze und gegen Integration gerichtete » HASS- JARGON « gefördert hat, Sennezeit überlassen. (Lesen Sie im » TV Guide« nach, wenn Sie dieser Information nicht trauen.) Diese beiden Männer verkörpern alles, wogegen wir im 2. WK gekämpft haben, und ihr FASCHISTISCHES GEI FERN hat keinen Platz in einer Ausstralung. EDWIN WALKER war einer der WEISSEN HERRENMENSCHEN , die versucht haben, James Meredith daran zu hindern, sich an der » OLE MISS « einzuschreiben. Wenn Sie Amerika lieben, protestieren Sie dagegen, dass Männer, die HASS und GEWALT predigen, kostenlose Sennezeit erhalten. Schreiben Sie einen Brief! Oder noch besser, kommen Sie am 27. Dezember zu einem »Sit-in« zu Channel 9!
A. Hidell Präsident von »Hände weg von Kuba« Ortsgruppe Dallas/Fort Worth
Ich dachte kurz über die Rechtschreibfehler nach, dann faltete ich das Flugblatt zusammen und legte es in die Kassette zu meinen Manuskripten.
Falls es zu Protesten vor dem Sender kam, wurden sie am Tag nach Hargis’ und Walkers »Ausstralung« nicht vom Slimes Herald gemeldet. Ich bezweifle, dass überhaupt jemand kam, vermutlich nicht einmal Lee. Ich jedenfalls nicht, aber ich schaltete am Donnerstagabend Channel 9 ein, weil ich neugierig darauf war, den Mann zu sehen, auf den Lee bald ein Attentat verüben würde.
Anfangs wurde nur Hargis gezeigt, der an einem Schreibtisch so tat, als würde er sich wichtige Notizen machen, während ein Tonbandchor »The Battle Hymn of the Republic« sang. Er war ein dicklicher Kerl, der seine dichten, schwarzen Haare zurückgekämmt trug und mit Pomade bändigte. Als der Chor ausgeblendet wurde, legte er seinen Füller weg, blickte in die Kamera und sagte: »Willkommen zum Christlichen Kreuzzug, Nachbarn. Ich habe gute Nachrichten – Jesus liebt euch. Ja, er liebt jeden Einzelnen von Ihnen. Wollen Sie nicht gemeinsam mit mir beten?«
Hargis belaberte den Allmächtigen mindestens zehn Minuten lang. Er handelte das übliche Zeug ab, indem er Gott für die Chance dankte, das Evangelium zu verkünden, und ihn aufforderte, alle zu segnen, die »Liebesgaben« eingeschickt hätten. Dann kam er zur Sache und bat Gott, sein auserwähltes Volk mit Schwert und Schild der Rechtschaffenheit zu bewaffnen, damit wir den Kommunismus besiegen könnten, der sein hässliches Haupt nur neunzig Meilen vor der Küste Floridas erhebe. Er forderte Gott auf, President Kennedy die Weisheit zu schenken (die Hargis, der dem
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