Der Anschlag - King, S: Anschlag
Jake, dass man die Vergangenheit zwar ändern kann – aber nicht so leicht, wie man vielleicht denkt. An dem bewussten Vormittag kam ich mir vor, als müsste ich mich aus einem Nylonstrumpf herauskämpfen. Er hat immer mal ein bisschen nachgegeben, war danach aber wieder so eng wie zuvor. Aber zum Schluss ist es mir gelungen, ihn zu zerreißen.«
»Wieso war das so schwierig? Weil die Vergangenheit nicht verändert werden will?«
» Irgendetwas will nicht verändert werden, davon bin ich überzeugt. Aber Veränderungen sind möglich. Wenn man diesen Widerstand berücksichtigt, kann man auch das verändern.« Seine Augen glitzerten in dem eingefallenen Gesicht. »Insgesamt endet Carolyn Poulins Geschichte mit ›und lebte glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende‹, findest du nicht auch?«
»Ja.«
»Sieh mal hinten in das Notizbuch, das ich dir gegeben habe, Kumpel, dann änderst du vielleicht deine Meinung. Dort steckt etwas, was ich heute ausgedruckt habe.«
Die hintere Umschlagseite hatte innen ein Kartonfach. Wohl für Visitenkarten und Notizzettel. Jetzt steckte ein zusammengefaltetes Blatt darin. Ich zog es heraus, faltete es auf und starrte es lange an. Vor mir lag ein Computeraus druck einer Titelseite von The Weekly Lisbon Enterprise. Unter dem Titel stand das Datum: 18. Juni 1965. Die Schlagzeile verkündete: LHS-JAHRGANG ’65 VERABSCHIEDET SICH LACHEND UND WEINEND. Auf dem Foto beugte sich ein kahlköpfiger Mann (der sich sein Barett unter den Arm geklemmt hatte, damit es ihm nicht vom Kopf fiel) über ein lächelndes Mädchen im Rollstuhl. Gemeinsam hielten sie ein Abschlussdiplom in die Kamera. Carolyn Poulin erreicht wichtiges Etappenziel auf ihrem langen Weg zur Genesung lautete die Bildunterschrift.
Ich sah verwirrt zu Al auf. »Wie kannst du das hier haben, wenn du die Zukunft verändert und sie gerettet hast?«
»Jeder Trip bedeutet einen Neustart, Kumpel. Hast du das vergessen?«
»O Gott! Als du zurückgekehrt bist, um Oswald zu stoppen, ist alles gelöscht worden, was du für Poulin getan hattest.«
»Ja … und nein.«
»Was soll das heißen, ja und nein?«
»Der Trip zurück, um Kennedy zu retten, sollte mein letzter Trip sein, aber ich hatte es nicht eilig, nach Texas zu kommen. Wozu auch? Im September 1958 war Ozzie Rabbit – das war sein Spitzname bei den Marines – nicht mal in Amerika. Er war mit seiner Einheit im Südpazifik unterwegs, um Japan und Formosa für die Demokratie zu sichern. Also hab ich mich wieder in den Shadyside Cabins am Sebago eingemietet und bin bis Mitte November dort geblieben. Nochmals. Am 15. November bin ich noch früher weg gefahren, was sich als verdammt gute Entscheidung rausgestellt hat, weil ich diesmal nicht nur eine Reifenpanne hatte. Bei meinem be schissenen Miet-Chevy ist ein Stößel aus dem Motorblock geflogen. Also musste ich dem Kerl an der Tankstelle in Naples sechzig Dollar Tagesmiete für seinen Wagen zahlen und meinen Marine-Corps-Ring als Sicherheit hinterlegen. Ich hatte noch einige weitere Abenteuer zu bestehen, die ich hier nicht ausbreiten will …«
»War die Brücke in Durham immer noch eingestürzt?«
»Weiß ich nicht, Kumpel, weil ich nicht mal versucht habe, diese Strecke zu fahren. Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, ist meiner Einschätzung nach ein Idiot. Was ich mir gemerkt hatte, war die Richtung, aus der Andrew Cullum kommen würde, und ich verlor keine Zeit, dort hinzufahren. Der Baum lag genau wie zuvor über der Straße, und bei Cullums Eintreffen habe ich mich genau wie zuvor mit ihm abgemüht. Dann hatte ich ziemlich bald Brustschmerzen – genau wie zuvor. Wir haben die ganze Komödie durchgespielt, Carolyn Poulin hatte ihren Samstag im Wald mit ihrem Dad, und zwei Wochen später bin ich – juhu – in einen Zug nach Texas gestiegen.«
»Wie kannst du dann ein Pressefoto von ihrer Abschlussfeier haben?«
»Weil jeder Trip in den Kaninchenbau hinunter einen Neustart bedeutet.« Al musterte mich prüfend, um zu sehen, ob ich die Sache kapiert hatte.
»Ich …?«
»Richtig, Kumpel. Du hast dir heute Nachmittag ein Root Beer für ’nen Dime gekauft. Und du hast Carolyn Poulin wieder in den Rollstuhl befördert.«
Kapitel 4
KAPITEL 4
1
Al ließ sich von mir in sein Schlafzimmer bringen und murmelte sogar »Danke, Kumpel«, als ich mich hinkniete, um ihm die Schuhe auszuziehen. Er sträubte sich erst, als ich ihm helfen wollte, zur Toilette zu kommen.
»Die Welt zu verbessern ist wichtig,
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