Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
konnte nur aus der Familie kommen, Viola, und wer hier in diesem Raum würde so etwas tun, außer dir?«
»Ich weiß, dass du keine hohe Meinung von mir hast, Susan, aber das würde ich Gypsy nicht antun, niemals.«
»Aber wer soll es dann gewesen sein? Ich etwa? Deine Mutter? Oder Pip?«
»Viola war es nicht«, flüsterte Gypsy mit blassem Gesicht.
Keiner hörte sie, oder jedenfalls fanden ihre Worte keine Beachtung. Susan zählte weiter auf, wer sonst noch als Täter in Frage kam. Ihre Stimme war scharf und schroff, so sehr nahm die Sache sie mit.
»Oder hat vielleicht Flora die Idee gehabt, sich diese Geschichte vergolden zu lassen?«
»Viola war es nicht«, wiederholte Gypsy, diesmal etwas lauter.
Wieder hörte sie niemand.
»Jetzt erzähl mir bloß nicht, es wäre Persicoria gewesen. Oder Emerald oder Eddie.« Susan, sonst die liebste, friedlichste Tante der Welt, glühte inzwischen so dunkelrot wie ihre selbstgezüchtete Rote Bete.
»Viola war es nicht«, sagte Gypsy noch etwas lauter, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. Und doch hörte sie nach wie vor niemand, alle konzentrierten sich fassungslos auf Viola und Susan.
Und deswegen schrie sie es jetzt heraus:
»Viola war es nicht!«
Auf einmal herrschte Stille in der Küche.
»Es war nicht Viola.« Jetzt kullerten Gypsy die Tränen über die Backen.
»Woher willst du das denn wissen, Gypsy?«, fragte Susan milde und beeilte sich, das Mädchen in die Arme zu nehmen.
»Viola war es nicht.« Diesmal flüsterte Gypsy wieder, während sie flehend zu ihrer großen Schwestern aufschaute, »weil ich es nämlich selbst war ...«
– 37 –
Vor Schreck verschlug es allen die Sprache. Endlich brach Judy das Schweigen, indem sie sich vor ihre kleine Tochter kniete, sie sanft an den Schultern fasste und so gelassen wie möglich fragte:
»Aber warum, Gypsy? Warum hast du das getan?«
Gypsy unterdrückte ein Schluchzen.
»Für uns, ich wollte mithelfen. Damit ihr nicht mehr alle so hart arbeiten müsst und euch auch keine Sorgen mehr wegen Geld und Rechnungen und meinem Schulzeugs zu machen braucht, und damit Pip nur nach Bristol zurückgeht, wenn sie das auch wirklich will ... ich wollte doch auch mithelfen, und was anderes ist mir nicht eingefallen.«
»Aber wie bist du denn in Kontakt mit diesen Reportern gekommen, du bist doch noch ein Kind!«, rief Susan.
»Ich habe ihr geholfen«, sagte eine leise Stimme.
Alle wandten sich gleichzeitig der Sprecherin zu. Sie war wirklich die Letzte, von der die Familie so ein Geständnis erwartet hätte.
»Flora?«, rief Judy erstaunt. »Aber warum ... und wie ...«
»Immerhin bin ich kein Kind mehr. Ich bin am Freitag achtzehn geworden«, erwiderte Flora ruhig.
Das schuldbewusste kollektive Stöhnen, das dieser viel zu späten Erinnerung folgte, war so laut, dass Persicoria sich mit eingeklemmtem Schwanz unter den Küchentisch flüchtete.
Judys Gesicht wurde noch länger.
»Ach du meine Güte ... wir haben deinen Geburtstag vergessen! Wie konnte das nur passieren, deinen achtzehnten Geburtstag, ach, Flora ...«
Aber Flora zuckte die Achseln.
»Macht doch nichts. Es gab ja viel Wichtigeres, worum wir uns kümmern mussten – das hier zum Beispiel.«
Sie griff in die Tasche, zog ein kleines zusammengefaltetes Stück Papier heraus und reichte es ihrer Mutter.
»Dafür hat Gypsy ihre Geschichte erzählt, und deswegen habe ich ihr geholfen, als sie mich darum gebeten hat.«
Langsam faltete Judy das Papier auseinander.
Es war ein Scheck über hunderttausend Pfund, ausgestellt auf den Namen Judy Charteris.
Judy sah auf den Scheck, schaute ihre Töchter an, lachte erst los und fing dann an zu weinen. Sie presste jammernde Schluchzer aus, doch genauso plötzlich, wie sie angefangen hatte, hörte sie auch wieder auf. Sie atmete tief durch, offensichtlich bemüht, sich zu fassen.
»Ach Gott, ach, meine Mädchen! Es tut mir so furchtbar leid. Das ist alles meine Schuld. Alles. Ich habe uns das eingebrockt. Ihr hättet nie das Gefühl haben dürfen, ihr müsstet ... Ach, ich habe euch alle so hängen lassen – Gypsy, du hättest gar nicht auf die Idee kommen dürfen!«
Gypsy verzog das Gesicht.
»Macht nichts, Mum ... Mich kratzt das nicht, wenn alle es erfahren. Er hat sich ja nicht um mich gekümmert, also hat er was verkehrt gemacht. Warum sollten wir ihn schützen?«
»Aber Gypsy, das hast du falsch verstanden, wir haben ja nicht ihn geschützt, sondern wir haben versucht, dich zu
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