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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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geschehen. Mr Black war tot.
    Im Flur war niemand, hier hausten nur Staub und Schatten, die sich gegen die Wände drückten, als wollten sie der lähmenden Angst ausweichen, die in diesen entsetzlichen Schreien zum Ausdruck kam. Nirgends jedoch Hinweise darauf, dass hier jemand gestorben war – keine schwarz verhüllten Frauen, die eifrig Trauer bekundeten. Die Türen des Labors und des Ladens standen sperrangelweit offen, doch weit und breit war niemand zu sehen. Ich schloss hinter mir die Haustür und schlich die Treppe hinauf. Auch hier kein Mensch. Mr Blacks Zimmer stand ebenfalls offen. Im Rhythmus des an- und abschwellenden Wehklagens, schrill und ungezähmt wie Möwengeschrei, schien die Tür in den Angeln zu erzittern.
    Auch ich zitterte jetzt, und mit abgewandtem Gesicht stieß ich die Tür ein wenig weiter auf, um einen ängstlichen Blick hineinzuwerfen. Vor mir eine Bettkante und ein bleicher Fuß, der unter dem schweren Bettzeug hervorlugte, die Nägel rissig und gelb und krumm wie Krallen. Auch die Haut war gelblich und von wächserner Kälte. Ich erschauderte, als ein neuer Schrei anhob. Noch während ich mich wappnete einzutreten, warf ich erneut einen Blick auf das Bett, und was ich jetzt sah, ließ mir das Herz in der Brust stocken. Der Fuß bewegte sich. Er streifte die Bettdecke beiseite und war jetzt ganz entblößt. Furcht packte mich. Ich wusste zwar, dass der Herr unsäglicher Bösartigkeiten fähig war, aber ich hätte nie geglaubt, dass er selbst über den Tod triumphieren würde.
    Ich zuckte zurück. Am liebsten wäre ich geflohen, hätte dieses Haus verlassen, um nie mehr zurückzukehren. Die Luft hinterließ einen giftigen Geschmack auf meiner Zunge, die Schatten griffen nach mir wie Bettler, zerrten an meinen Röcken, raubten mir die Lebenskraft. Meine Hand umklammerte das Treppengeländer, um nicht zu stürzen. Einen Moment war das Haus mucksmäuschenstill, als hätte der Schrei ihm den Atem genommen, dann erneut ein wildes Heulen, das mir durch Mark und Bein ging.
    Und plötzlich wusste ich es. Es war nicht Mrs Black, die schrie. Es war Mary. Ihr ganzer Schmerz, die nackte und klägliche Hilflosigkeit ihrer gestaltlosen Seele verschaffte sich Ausdruck in diesen entsetzlichen Angstschreien. Ich stürzte so hastig ins Zimmer, dass ich beinahe gefallen wäre.
    Mein Herr war nicht tot, im Gegenteil. Der Apotheker saß auf dem Bett, sein Gesicht, sonst grau und verhärmt, erstrahlte in einem merkwürdigen rosigen Glanz. Seine Hände glitten zitternd über das Blatt Papier auf seinem Schoß, als wäre er unfähig, die ihnen innewohnende Energie im Zaum zu halten, und seine Lippen bewegten sich in erregter, sprachloser Verkrampfung. Mary lag mit dem Oberkörper auf seinen Beinen, geschüttelt von heftigen Schluchzern. In den Armen hielt sie ein blutgetränktes Bündel, das sie gegen ihren vorgewölbten Bauch drückte, und sie schaukelte vor und zurück, während sich ein neuer Schrei des Schmerzes und des Wahnsinns ihrer Brust entrang. Das Blut hatte die Vorderseite ihres Mieders mit dicken rostfarbenen Streifen getränkt und verklebte die feinen Härchen ihrer Unterarme. Ihr Gesicht war geschwollen und schmerzverzerrt.
    Im Nu war ich bei ihr, schlang die Arme um sie und drückte sie an mich. Blutgeruch drang mir in die Nase, heiß und metallisch, vermischt mit Kotgestank – ein Gestank wie an einem heißen Nachmittag in einem Schlachthaus. Ich streichelte ihren Kopf und murmelte beruhigende Worte. Sie wiegte sich vor und zurück, das Gesicht in dem Bündel in ihren Armen begraben.
    »Mary, Mary, ich bin es. Liebste Mary, Eliza ist hier.«
    »Verschwinde.« Die Stimme des Apothekers klang dünn und klebrig. »Verschwinde. Du hast hier nichts zu suchen.«
    Er legte seine gelbliche Hand auf Marys Kopf. Sie wehrte ihn nicht ab.
    »Rühren Sie sie nicht an!«, schrie ich und wollte sie ihm entwinden. »Was zum … o Mary, Mary, mein liebes Mädchen, was hat er dir angetan? Was hat er getan?«
    Ich zerrte an ihrem Arm, versuchte, sie auf die Beine zu ziehen, aber sie wehrte sich und biss mich in die Hand wie eine Wilde.
    »Wenn du willst, dass es ihr noch schlechter geht, nur zu«, sagte der Herr, und sein Gesicht zuckte, während er weiter mit zittriger Hand auf das vor ihm liegende Blatt kritzelte. »Nur zu.«
    »Sie … Sie sind ein Ungeheuer!«
    Der Herr öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch plötzlich wurde er von einem solchen Krampf geschüttelt, dass sein ganzer Körper zuckte

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