Der Apotheker: Roman (German Edition)
weißen Wurm in einem übel riechenden finsteren Loch vorzustellen, wie er verzweifelt und hoffnungslos nach Luft schnappte, bevor er ertrank, eingesogen in ein schmutziges Fäkalienmeer.
Am achten Tag wurde ich frühmorgens durch das muntere Geschrei von Stallknechten aus einem dösenden Halbschlaf gerissen. Die Kutsche hatte angehalten, und als ich die Augen aufschlug, sah ich, dass ich der einzig verbliebene Fahrgast war. Die Stille in der Kutsche war verblüffend. Es hatte aufgehört zu regnen. Der Verschlag stand offen, und es roch nach grünem Fluss und einem frisch gereinigten Himmel. Vorsichtig reckte ich die Glieder.
»Wir sind in Hampstead Hill.«
Ich blickte hoch und sah den Ehemann der dicken Frau am Wagenschlag stehen. Er hatte ein freundliches Gesicht, rot wie ein Backstein und von tiefen Furchen durchzogen, in denen ein Lächeln ganz bequem Platz fand.
»Sie sind unpässlich, ich weiß, aber das Wasser hier ist für seine heilkräftige Wirkung bekannt. Vielleicht geht es Ihnen besser, wenn Sie davon kosten.«
Er streckte mir seine Hand hin, aber ich schüttelte den Kopf. Erschöpfung lähmte mir die Glieder und verursachte mir Nackenschmerzen. Der dicke Mann öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Ich schloss die Augen.
»Schlafen Sie gut, meine Liebe«, murmelte er nach einer kurzen Pause.
Seine Absätze klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, als er sich entfernte. Ich kniff die Augen zusammen und lehnte mich auf dem modrig riechenden Sitz zurück, aber die frühmorgendlichen Geräusche drangen dennoch an mein Ohr. Das Geschirr der Pferde streifte rasselnd die Verstrebungen der Kutsche, als die Tiere ausgespannt wurden. Metalleimer schlugen gegen Stein. Befehle wurden gerufen. Ein Hund bellte. Mehrere Uhren schlugen die Stunde um die Wette. Irgendwo in der Nähe wurde mit einem Hammer auf Holz geklopft. Es roch nach frischem, warmem Pferdedung. Ich machte die Augen auf. Vor dem offenen Wagenschlag erstreckte sich ein Hof und dahinter ein langer, niedriger Gasthof, auf dessen reetgedecktem Dach wässrige Sonnenstrahlen spielten. Ich war durstig und verspürte den Drang, Wasser zu lassen. Langsam schwang ich ein Bein hinaus und tastete mit dem Fuß nach dem Tritt. Meine Beine waren kraftlos, denn ich hatte seit Tagen nichts gegessen. Um nicht zu stürzen, klammerte ich mich an dem eisernen Geländer fest und kletterte hinaus.
Und da war sie. Ich werde es nie vergessen. Der Lärm aus dem Hof, der bis zu diesem Augenblick in meinem Schädel gedröhnt hatte, schien abzuebben, und selbst das Gezwitscher der Vögel verstummte. Nirgendwo ein Gebäude oder eine Mauer, die den Blick begrenzte, nur ein geschwungener Abhang, dessen mit Sträuchern bewachsener Grasboden mit Schlamm verkrustet war. Hinter dem Hügel erstreckte sich ins schier Unendliche ein glitzernder Teppich aus niedrigem, schwarz geflecktem Nebel, aus dem die Spitzen zahlloser Türme ragten, mir zum Geschenk zu meinen Füßen ausgerollt. London. Und in dessen Mitte ragte triumphierend ein mächtiges Halbrund empor, eine Kuppel von unvorstellbarer Majestät, die silberne Patina durchzogen von mitternächtlich tintigem Blau. Trotz ihrer gewaltigen Größe schien sie über der Stadt zu schweben, emporgehoben auf einem feierlichen Wolkenkranz. Während ich so dastand und schaute, brach ein Sonnenstrahl durch den marmorierten Himmel, fiel auf die Laterne der Kuppel und schmolz ihre Spitze zu flüssigem Gold. Mein Herz, von etwas Tieferem berührt, regte sich. Schwach, aber unmissverständlich spürte ich ein warmes Beben, das meinen Bauch durchströmte. Da ballte ich die Hand zur Faust, ganz fest, um Sicherheit zu gewinnen, aber ich konnte die Augen nicht von der Stadt abwenden. Sie glänzte in dem blassen Licht wie ein Versprechen. Während ich sie betrachtete, schien sie zu wachsen, und um sie herum und hinter ihr kräuselte sich Rauch aus tausend Schornsteinen gebieterisch und unaufhörlich nach oben, um mit den Wolken zu verschmelzen und den Himmel selbst in Besitz zu nehmen. Auch der Lärm stieg von der Stadt hoch wie flirrende Hitze aus dem Sand, ein hohles Dröhnen wie das Echo eines fernen, weiten Ozeans, ewig und unablässig. Mir schien, als höbe die Kraft dieses Dröhnens die Türme empor wie die Flut das Meer, leckte an dem Kies, auf dem ich stand, und zöge mich nach oben.
Ich ging nicht weiter, sondern blieb am Rand dieses Hügels stehen, bis der Kutscher seine Passagiere zur letzten Etappe der Reise zusammenrief. Beim
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