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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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übel riechenden Aufguss konnte Mary nur gesüßt trinken, und selbst dann entglitt ihr manchmal die Tasse, als hätte man ihr die Fasern der Hand durchschnitten. Der Tee brachte keine Besserung. Ihre Missstimmung hielt an, sodass ich nach ein paar Wochen unsere Herrin bat, mehr für sie zu tun. Mrs Black sah mich mit ihren Knopfaugen an und meinte kurz angebunden, der Herr unternehme bereits alles Nötige. Mary leide unter dickflüssigem Blut infolge schlechter Verdauung, weshalb er ihr Abführmittel und regelmäßige Einläufe verordnet habe, die er selbst durchführe.
    Die Abführmittel riefen einen so starken Brechreiz hervor, dass Mary am Ende nur noch dünne gelbe Galle spuckte, aber die Einläufe waren noch schlimmer. Mit glasigen Augen kam Mary an solchen Tagen aus dem Zimmer des Apothekers, die zitternden Hände zwischen die Schenkel gepresst. Wenn ich versuchte, sie zu umarmen, war sie stocksteif wie ein Leichnam.
    Ihr Zustand besserte sich nicht. Ich beobachtete sie mit Sorge, überzeugt, dass der Apotheker eine falsche Diagnose gestellt hatte. Denn abgesehen von einem leichten Hinken und Schmerzen im Unterleib, zeigte sie keinerlei Anzeichen einer Krankheit. Sie hatte weder Fieber noch Husten, weder Wunden noch Entzündungen. Dank der Einläufe des Apothekers war ihr Stuhlgang reichlich und von guter Farbe. Selbst das häufige Erbrechen schadete nicht ihrem Appetit, ganz im Gegenteil. Sie aß ständig und schlang voller Gier riesige, kaum gekaute Bissen hinunter, als wäre sie unersättlich. Und wenn sie zu Ende gegessen hatte, stopfte sie sich ihre Schürzentasche randvoll mit Vorräten. Wenn wir morgens ihren Strohsack zusammenrollten, lagen Käsereste und Gebäckkrümel zwischen den Decken. Mary wurde dicker und dicker. Sie bekam Pausbacken, und ihr Bauch, schon immer kindlich rund, wölbte sich unter ihren weiten Kleidern. Umklammerte sie meine Hand, stellte ich fest, dass ihre Finger feucht und schwabbelig waren, die Knöchel tief eingebettet in weichem Fleisch.
    Doch ganz unverkennbar ging es ihr nicht gut. Mit ihrer gelben Haut und den glasigen Augen ähnelte sie einer Wachsfigur in Mrs Salmons Museum. Wie eine Kuh, die zum Melken trottet, stolperte sie durch den Tag, den Kopf zwischen den Schultern eingesunken. Sie kaute an ihren Lippen und ihren Fingernägeln, bis sie bluteten. Ihre Hausarbeit blieb liegen. Sie hatte angefangen, sich die Haare auszureißen, und die kahle Stelle auf ihrem Kopf, anfangs nicht größer als eine Kinderhand, reichte ihr jetzt fast bis zum Ohr.
    Abends, nach getaner Arbeit, frisierte ich ihr das Haar. Der gleichmäßige Strich der Bürste tat uns beiden gut, und da Mary zu meinen Füßen saß, blieb mir ihr trauriger Blick erspart. Wir redeten nicht viel. Ich wickelte ihr Haar auf Papier und Stoffreste und drehte ihr »Herzensbrecher«, zwei kleine Löckchen im Nacken, die Männerherzen angeblich höherschlagen ließen, und Schmachtlocken an den Schläfen. So fein Marys Haare auch waren, die Löckchen hielten gut.
    In der Küche befand sich ein Spiegel, eine billige, notdürftig gerahmte Scherbe, die mir Mrs Black gegeben hatte, damit ich mich ein wenig zurechtmachen konnte und ordentlich aussah, bevor ich in den Laden hinaufging. Aus irgendeinem Grund und sehr zu meinem Verdruss versetzte der Spiegel Mary in heftige Unruhe. Wenn ich sie vor den Spiegel führte, damit sie mein Werk begutachten konnte, wagte sie nur dann einen Blick, wenn wir beide darin zu sehen waren.
    »Mar’?«, fragte sie dann, und obwohl ihre Stimme zitterte, bogen sich ihre Mundwinkel leicht nach oben. Es war nicht der Anflug eines Lächelns, eher die Andeutung der Bereitschaft, ein Lächeln zuzulassen. »Ist das Mar’?«
    »Schau dich an!«, ermunterte ich sie. »Sieh mal, die Locken, die dir über die Schultern fallen. Du siehst wirklich hübsch aus.«
    Mary schaute, lächelnd und doch nicht lächelnd, wie der Engel in einer Fibel. Sie wagte es nie, eine Hand auf ihren Kopf zu legen. Vielmehr berührte sie ihr Spiegelbild so vorsichtig mit den Fingerspitzen, als wäre es nass und könnte verwischen. Konzentriert die Stirn runzelnd, strich sie über ihren Haarschopf, die gelockte Haarpracht, die ihr Gesicht umrahmte. Dann wandte sie abrupt den Blick ab, legte den Spiegel mit der Vorderseite auf den Tisch und kauerte sich vor das Feuer, die Stirn auf den Knien. Sie verlor kein Wort darüber, aber ich zweifelte nicht, dass es ihr auf irgendeine Weise doch gefiel. Jedenfalls ließ sie es zu,

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