Der Apotheker: Roman (German Edition)
scheppernd ab, drehte mich um und verschränkte die Arme über der Brust.
»Mich?« Vor Aufregung klang meine Stimme harsch. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Was sollte er denn von mir wollen?«
Mary zuckte träge die Schultern und stocherte mit der Schuhspitze in dem Aschehaufen.
»Lass das!«, fuhr ich sie an. »Ich habe so schon alle Hände voll zu tun, soll ich wegen dir vielleicht alles zweimal machen?«
Mary verzog keine Miene, zerrte aber hektisch an ihren Haaren.
»Warum tust du das?«, schrie ich. »Herrgott noch mal, Mary, geht es uns denn nicht so schon schlecht genug?«
Vor der Tür ballte ich die Faust und pochte mit den Fingerknöcheln so fest gegen das Holz, dass es mir wehtat. Als er mich hineinrief, musste ich mich regelrecht zwingen, den Knauf zu drehen und über die Schwelle zu treten. Mir war schwindelig, und die Wut packte mich. Der Gedanke an sein entstelltes Gesicht, mit dem er mich angaffte, an seine aufdringlichen Fragen und seine einschmeichlerische, unverschämte Neugier machte mich ganz kribbelig. Ich holte tief Luft und reckte das Kinn. Ich musste es einfach an mir abprallen lassen. Ich würde ihn nicht ansehen. Ich würde auf die Wand starren und mich ihm verschließen. Ich würde einsilbig antworten, bis er meiner Verstocktheit und der leeren, unnachgiebigen Mauer meiner traumlosen Nächte überdrüssig wurde. Wenn dieser Dreckskerl sich einbildete, er könne irgendetwas aus mir herausbekommen, hatte er sich gehörig getäuscht.
Es war Monate her, seit ich zum letzten Mal sein Zimmer betreten hatte. Die Fensterläden waren geschlossen, der Raum lag in ein trübes Licht getaucht und roch ekelerregend nach abgestandener Luft und Anis. Der Apotheker saß an seinem Schreibtisch, eine Decke um die Schultern. Sein Gesicht, von der zerzausten Perücke verdeckt, konnte ich zwar nicht sehen, aber seine vornübergebeugte Haltung und sein Geruch waren die eines Greises. Seine knochigen Hände ruhten auf einem Stapel Papier vor ihm auf dem Tisch. Die blauen Adern unter seiner pergamentartigen Haut sahen aus wie Tintenkleckse.
»Sir.«
»Setz dich, Mädchen, setz dich.«
Ich gehorchte, drehte jedoch den Stuhl zur Wand.
»Ich möchte mit dir über Mary sprechen«, sagte er mit schnarrender Stimme. »Dir ist sicher nicht entgangen, dass sie kränkelt.«
Ein Hustenanfall hinderte ihn am Weitersprechen. Es dauerte eine Weile, bis er fortfuhr, leiser jetzt, aber auch harscher, die Stimme gespannt wie eine Violinsaite.
»Mrs Black sagt, Mary hängt sehr an dir. Welcher Art ist diese Zuneigung?«
Ich dachte daran, wie sich Mary im Dunkeln die Haare ausriss, ihre Hand in der meinen verschränkt, und bohrte meinen Blick noch fester in die Wand.
»Sie ist schwachsinnig, Sir«, sagte ich abweisend. »Sie braucht mich wie ein Kind, weil sie allein nicht zurechtkommt.«
»Und wie ein Kind, dem Sinn und Verstand der Erwachsenen fehlen, gibt sich ein Idiot törichten und starken Leidenschaften hin. Du siehst sie jeden Tag. Zweifellos verstehst du sie besser, als sie sich selbst versteht. Du könntest mir helfen, sie wieder gesund zu machen. Also, woran hat sie Freude, was bringt sie zum Lachen oder zum Weinen, was lässt sie aus der Haut fahren?«
Die Frage kam für mich so überraschend, dass ich den Blick zur Seite wandte und ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Er hatte die Hände so fest ineinander verschränkt, dass seine Fingerknöchel ganz weiß waren.
»Darüber habe ich nie nachgedacht.«
»Dann tu es jetzt. Fangen wir mit dem Einfachsten an. Was macht dem Mädchen Freude?«
Ich überlegte. Vor meine Augen trat das Bild der lachenden Mary, die mit heraushängender Zunge vor Vergnügen in die Hände klatschte. Ich entspannte mich ein wenig.
»Das Übliche«, murmelte ich. »Alles, was Kinder mögen.«
»Und das wäre?«
Ich zuckte die Achseln. Hinter einer so harmlosen Frage steckte doch gewiss nichts Böses.
»Honig. Bonbons. Schokolade. Sie liebt Schokolade.«
»Natürlich. Was noch?«
»Dörrbirnen.«
»Nur Sachen zum Essen? So primitiv kann sie doch nicht sein.«
Ich zögerte. »Es gefällt ihr, wenn ich Schattenfiguren an die Wand zaubere. Mit der Hand.«
»Das erschreckt sie nicht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich mache keine angsterregenden Figuren, Sir.«
»Und welche machst du?«
»Kaninchen, Vögel. Das Übliche.«
»Mary mag also Tiere?«
»Ja, Sir.«
»Und welche ganz besonders?«
»Alles, was klein ist und weich. Die gelbe Katze. Den Hänfling.
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