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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Industriepartei wurden die «Werktätigen Bauern» bereits als entlarvt und allseits durchschaut erwähnt.
    Da hatte es sich Stalin in einer schönen grüblerischen Nacht plötzlich anders überlegt – warum, das werden wir vielleicht nie mehr erfahren. Wollte er sein Seelenheil retten? – Dazu war’s zu früh. War er die Eintönigkeit leid? Stieß es ihm schon auf? Rührte sich ein Gefühl für Humor? Doch niemand wird es wagen, Stalin des Humors zu zeihen! Viel eher war’s so: Bald würde das ganze Dorf sowieso an Hunger krepieren, nicht zweihunderttausend bloß, wozu also sich um diese bemühen. So wurde denn die gesamte Bauernpartei abgesagt, alle Geständigen wurden aufgefordert, die Geständnisse zu widerrufen (ihre Freude kann man sich leicht vorstellen!).
    Es drängen sich die Absätze, es drängen sich die Jahre – und nie werden wir dahingelangen, alles der Reihe nach aufzuzeichnen (die GPU jedoch, die wurde bestens damit fertig! Die GPU, die gab sich keine Blößen!). Aber niemals wollen wir vergessen:
daß die Gläubigen ins Gefängnis wandern, ohne Unterbrechung, wie selbstverständlich (da zeichnen sich manche Daten und Spitzen ab. Einmal war es die «Nacht des Kampfes gegen die Religion», am Weihnachtsabend 1929 in Leningrad, als zuhauf religiöse Intellektuelle eingesperrt wurden, und nicht nur bis zum Morgengrauen, nicht als Weihnachtsmärchen. Ein andermal dortselbst im Jahre 1932 die gleichzeitige Schließung vieler Gotteshäuser und Hand in Hand damit die Massenverhaftung von Geistlichen. Mehr Daten und Orte aber bleiben im dunkeln: Niemand ist da, sie uns zu überbringen.);
daß mitnichten versäumt wird, die Sekten zu bekämpfen;
daß die Große Patience der Sozialisten weitergespielt wird, unermüdlich wie selbstverständlich;
daß 1929 die seinerzeit nicht landesverwiesenen Historiker eingesperrt werden;
daß die Nationalitäten nicht aufhören zu strömen, einmal aus dieser, einmal aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung des Reiches.
    1928 wird es Zeit, mit den bourgeoisen Überbleibseln von der NEP abzurechnen. Meist werden ihnen immer höher und höher, zuletzt vollkommen unerträglich werdende Steuerforderungen präsentiert; irgendwann weigern sie sich zu zahlen und werden sogleich wegen Zahlungsunfähigkeit verhaftet und ihres Vermögens für verlustig erklärt. Der Staat braucht Kapital, braucht Gold. Ende 1929 beginnt der berühmte Goldrausch.
    Wer gerät in den «goldenen» Strom? Jeder, der irgendwann vor fünfzehn Jahren ein Geschäft betrieb, vom Handel oder einem Handwerk lebte und nach Auffassung der GPU Gold zurückgelegt haben könnte. Doch gerade diese Leute hatten selten Gold: Ihr Vermögen legten sie in Mobilien und Immobilien an; längst hatte es sich in Luft aufgelöst, war während der Revolution verlorengegangen – was sollte da übriggeblieben sein? Große Hoffnung setzt man natürlich auf die einsitzenden Zahntechniker, Juweliere und Uhrmacher. Alles wird verhaftet, alles in die Zellen der GPU gestopft, die so voll sind, wie man es nicht für möglich gehalten hätte – nutzbringend auch dies, um so schneller werden sie damit herausrücken ! Die Aktion nimmt irre Formen an: Männer und Frauen werden in eine Zelle eingesperrt, müssen voreinander auf die Latrine gehen – wer schert sich um solche Nichtigkeiten! Gold her, ihr Schweinehunde! Die Untersuchungsrichter führen keine Protokolle, weil niemand das Geschreibsel braucht, egal, ob später eine Strafe dazukommt oder nicht, was soll’s, Hauptsache ist: Her mit dem Gold, du Schweinehund! Der Staat braucht Gold, doch was willst du damit? Den Untersuchungsrichtern versagt die Stimme, versagen die Kräfte zu drohen und zu foltern, da hilft nur mehr diese Universalmethode: In die Zellen nur Gesalzenes reichen, dazu kein Wasser. Wer das Gold abliefert, darf sich satt trinken! Einen Goldzehner für ein Glas klares Wasser!
    «Nach Golde drängt,
    Am Golde hängt
    Doch alles!»
    Die läppischsten Kriminalromane und Räuberopern waren in der Dimension eines großen Reiches zur handgreiflichen Wirklichkeit geworden.
    Also sprudelten und glucksten die Ströme, doch über alle anderen hinweg ergoß sich 1929/30 der Vielmillionenstrom der liquidierten Kulaken. Übermäßig breit war er; selbst das voll entfaltete Netz der Untersuchungsgefängnisse (das zudem mit dem «Goldstrom» überfüllt war) hätte ihn nicht auffangen können, doch er machte einen Bogen darum und floß direkt in die Durchgangsstellen und

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