Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
Vom Netzwerk:
die von Brest-Litowsk, bei der Evakuierung vergessen – mit der Erschießung der politischen Häftlinge in den Höfen und Zellen der westlichen Gefängnisse Lwow (Lemberg), Rowno, Tallinn (Reval) und anderen kam man zurecht. In Tartu (Dorpat) wurden 192 Menschen exekutiert, die Leichen in den Brunnen geworfen.
    Wie soll man sich das vorstellen? Du sitzt nichtsahnend da, die Zellentür geht auf – und sie schießen dich nieder. Du rufst etwas, das Letzte – niemand außer den Gefängnismauern wird es hören und weitererzählen. Man sagt übrigens, es seien nicht alle zu Tode geschossen worden. Vielleicht werden wir noch ein Buch darüber zu lesen bekommen?
    Im Hinterland war der erste Kriegsstrom jener der Gerüchte-und Panikmacher; in den ersten Tagen wurde ein einschlägiger, außerordentlicher Ukas erlassen. Es war ein Probeaderlaß behufs allgemeiner Disziplinierung. Alle bekamen zehn Jahre, fielen jedoch nicht unter den § 58 (und die wenigen, die überlebten, wurden 1945 amnestiert).
    Danach folgte der Strom der Radioverheimlicher (Rundfunkgeräte und Ersatzteile mußten abgeliefert werden). Eine gefundene (denunzierte) Radiolampe kostete 10 Jahre.
    Daneben floß der Strom der Deutschen – der Wolgadeutschen, der Kolonisten aus der Ukraine und vom Nordkaukasus, überhaupt aller Deutschen, die irgendwo in der Sowjetunion lebten. Bestimmend war allein die deutsche Herkunft; Helden des Bürgerkriegs, alte Parteimitglieder – sie waren Deutsche und mußten in die Verbannung.
    Im Spätsommer 1941 brach der Strom der Eingekesselten hervor, schwoll im Herbst gewaltig an. Noch vor einigen Monaten hatten ihnen unsere Städte mit Blumen und Fanfaren das feierliche Geleit gegeben, dann waren sie es, die die schwersten Panzerangriffe der Deutschen abzufangen hatten, die schließlich, im allgemeinen Chaos und am wenigsten durch eigene Schuld, nicht in die Gefangenschaft, nein! – in deutsche Kessel gerieten und in kleinen versprengten Kampfgruppen sich wieder zu den Unsrigen durchschlugen. Statt sie nun nach der Rückkehr brüderlich zu umarmen (wie es jede Armee der Welt getan hätte), ihnen ein wenig Erholung und einen kurzen Heimaturlaub zu gönnen und sie wieder zur Truppe einzuziehen, wurden sie verdächtigt, entwaffnet, in rechtlose Scharen aufgelöst und an die Prüf-und Sortierungsstellen weitergeleitet, wo die Offiziere der Sonderabteilung zunächst einmal jedem Wort von ihnen mit Mißtrauen begegneten, wo sie am Ende auch noch beweisen mußten, daß sie waren, wofür sie sich ausgaben.
    Der Sieg vor Moskau gebar einen neuen Strom, den Strom der schuldigen Moskauer. Bei ruhiger Betrachtung erwies sich nun, daß jene Moskauer, die nicht davongelaufen waren, sich nicht evakuieren ließen, sondern furchtlos in der bedrohten und von den Behörden verlassenen Hauptstadt geblieben waren, sich allein schon dadurch verdächtig gemacht hatten: entweder die Autorität der Macht untergraben zu wollen (58,10) oder die Deutschen erwartet zu haben …
    Mit 1943, als sich im Kriegsgeschehen die Wende zu unseren Gunsten vollzog, begann, mit jedem Jahr bis 1946 immer üppiger werdend, der Millionenstrom aus den ehemals besetzten Gebieten und aus Europa zu fließen.
    Man möge jedoch nicht meinen, daß die ehrliche Teilnahme an einer antideutschen Untergrundorganisation gegen das Schicksal, in diesen Strom zu geraten, gefeit machte.
    Bitterer und härter wurde bestraft, wer in Europa gewesen war, und sei’s nur als Ost-Sklave: Er hatte einen Zipfel europäischen Lebens gesehen und hätte darüber erzählen können.
    Aus eben diesem Grunde, nicht einfach weil sie sich gefangennehmen ließen, wurden die meisten Kriegsgefangenen vor Gericht gestellt; und je mehr sie außer den deutschen Todeslagern vom Westen zu sehen bekommen hatten, desto sicherer wurden sie verurteilt. Der beste Nachweis dafür ist, daß auch die Internierten strikt als Kriegsgefangene abgeurteilt wurden; so beispielsweise eine Gruppe von sowjetischen Matrosen, die es in den ersten Kriegstagen nach Schweden verschlagen hatte. Sie verlebte den ganzen Krieg in Schweden, nicht nur frei und bestens versorgt, sondern auch noch in einem Komfort, den sie sich weder früher noch auch später träumen ließ. In der Heimat gab’s Rückzug und Vormarsch und Schlachten, die Heimat hungerte und siechte, während die Haderlumpen sich neutrale Wänste anschlemmten. Nach dem Krieg wurden die Männer von den Schweden zurückgeschickt. Der Landesverrat stand außer Zweifel;

Weitere Kostenlose Bücher