Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Festland, durch sie ward die Sache ruchbar) und, verständlich auch dies, mit kargen Rationen versorgt, denn eine üppigere wäre angesichts ihrer Arbeitsuntauglichkeit nicht zu rechtfertigen gewesen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie, scheint’s, auch heute noch dort.
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Die Völkerverschickung
Seht, wie schnell es mit der Verbannung aufwärts ging, sobald man sich an die Verlegung der Sonderumsiedler machte! Im Jahr des Großen Umschwungs wurden als Sonderumsiedler die verschickten «Kulaken» bezeichnet, und das klang viel genauer, war viel besser zu handhaben, gab keinen Anlaß zu Klagen, denn «entkulakisiert» sind nicht bloß Kulaken worden, aber gegen den «Zwangsumsiedler» redest du dir vergeblich das Maul wund.
Alsdann befahl der Große Vater, dies Wort auf die verschickten Nationen anzuwenden.
Auch Er hatte Mühe, diese Entdeckung in den Griff zu bekommen. Das erste Experiment ward recht vorsichtig angestellt: 1937 wurden etliche Zehntausend verdächtiger Koreaner – man wußte ja, was von der Verläßlichkeit dieser schlitzäugigen Schmutzfinken am Vorabend der Kämpfe von Chalchin-Gol und angesichts des japanischen Imperialismus zu halten war – still und flink vom Fernen Osten nach Kasachstan verlegt, mitsamt ihren Tattergreisen und plärrenden Säuglingen und dem zugestandenen Packen kümmerlichen Hausrats. So eilig ging es, daß sie den ersten Winter in Lehmhütten ohne Fenster verbrachten (Fensterglas war ja Mangelware!). Und so still, daß niemandem, außer den benachbarten Kasachen von jener Umsiedlung etwas zu Ohren kam; und es hat im weiten Lande kein Sprachgewandter etwas darüber gemurmelt und kein Auslandskorrespondent etwas hinausgepiepst.
Man fand Geschmack daran. Merkte sich die Sache. Und wandte 1940 das gleiche Verfahren in der Umgebung von Leningrad an, der Wiege der Revolution. Allein, man kam die Opfer weder nachts noch mit gefällten Bajonetten holen, man nannte es «feierliche Verabschiedung» in die eben erst eroberte Karelo-Finnische Republik. Bei vollem Tageslicht, mit Fahnengeschwenke und Orchestergeblase, wurden die Leningrader Finnen und Esten zur Inbesitznahme ihrer neuen Heimaterde ausgeschickt.
All dies waren Vorversuche. Erst der Juli 1941 gab den Startschuß für eine breitangelegte Erprobung der Methode: Die autonome und natürlich verräterische Republik der Wolgadeutschen (mit ihren Hauptstädten Engels und Marxstadt) mußte leergeschrubbt und innerhalb weniger Tage nach irgendwohin weiter ostwärts verfrachtet werden. Hier war erstmals und in reinster Form das dynamische Verfahren der Völkerverschickung angewandt worden, und dieser Vorteil, sich eines einzigen Schlüssels, nämlich der im Paß vermerkten Nationalität, anstelle der vielen Untersuchungsakte und individuell zu treffenden Entscheidungen, bedienen zu können, entpuppte sich als überaus zeitsparende und fruchtbare Errungenschaft. Auch bei den anderen Deutschen, die in allen Winkeln Rußlands aufgestöbert wurden (keiner blieb unbehelligt), brauchte die lokale NKWD keine Hochschulbildung, um zu entscheiden, wer ein Feind, wer keiner war. Ein deutscher Familienname genügte, das Schloß schnappte zu.
Das System war erprobt, wo erforderlich verbessert worden, von nun an wird es mit sturer Unerbittlichkeit jede beliebige vorgemerkte, verdammte, straffällige, verräterische Nation verschlingen, immer hurtiger von Mal zu Mal: die Tschetschenen, die Inguschen, die Karatschajewer, die Balkaren, die Kalmücken, die Kurden, die Krimtataren und schließlich die kaukasischen Griechen. Das System gewinnt seine besondere Dynamik daraus, daß sich der Entschluß des Vaters aller Völker diesem betroffenen Volke nicht in Form einer weitschweifigen Gerichtsverhandlung, sondern in jener einen militärischen Operation moderner motorisierter Infanterietruppen kundtut:
Nachts dringen bewaffnete Divisionen in die Stellungen des verurteilten Volkes ein und besetzen die Schlüsselpositionen. Die verbrecherische Nation erwacht und sieht jedes Dorf von Maschinengewehren und MPs umringt. Zwölf Stunden werden den Einwohnern zugestanden, um zusammenzupacken, was jeder in seinen beiden Händen forttragen kann. Und schon werden sie wie Sträflinge, mit angezogenen Beinen, auf Lastwagen verladen (alte Frauen, Mütter mit Säuglingen – hoppla! Hört ihr das Kommando nicht?!) – und die bewachte Lastwagenkolonne setzt sich in Richtung Eisenbahnstation in Bewegung. Von dort geht es in Viehwaggons zum
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