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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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angewiesen, die Achtundfünfziger nach Ablauf ihrer Haftfrist mit wenigen Ausnahmen in die Verbannung zu entlassen. Mit anderen Worten: Sie nicht leichtfertig übers Land auseinanderlaufen zu lassen, welches nicht ihnen gehörte, sondern jede in Frage kommende Person unter Bewachung vom Lagertor zur zuständigen Kommandantur, von einem Schlachthof zum nächsten zu befördern. Da sich aber die Verbannung auf genau festgelegte Regionen erstreckte, bildete sie wiederum ein eigenes (wiewohl zerstückeltes) Land zwischen der UdSSR und dem Archipel, nicht Fegefeuer, nicht Reinigungsort, sondern eher ein Sudelhort, aus dem man zwar auf den Archipel, niemals aber aufs Mutterland gelangen konnte.
    Die Jahre 1944/45 brachten umfangreichen Nachschub aus den besetztenbefreiten Territorien, 1947/49 folgte der Strom aus den westlichen Republiken. Und durch all diese Ströme zusammen, würde man sogar die Bauernaustreibung abziehen, wurde jene Zahl von einer halben Million Zwangsverschickten, die das zaristische Rußland, der Völkerkerker, im Verlauf eines ganzen, des 19., Jahrhunderts aufgetürmt hat, um ein Vielfaches übertroffen.

    Die häufigsten Verbrechen sind unschwer zu nennen:
    1. die Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Nationalität;
    2. eine bereits abgesessene Lagerfrist;
    3. das Wohnen in einem verbrecherischen Milieu (wer seinen Wohnsitz im ketzerischen Leningrad, in Partisanengebieten, wie etwa in der Westukraine oder in den baltischen Republiken, hatte).
    Darüber hinaus floß von den vielen Strömen, die wir ganz am Anfang unseres Buches aufgezählt, manch Bächlein an den Lagern vorbei; allzeit wurde ein bestimmter Teil davon in die Verbannung geschwemmt.
    Weil allein auf zufällige Berichte oder Briefe angewiesen, sind wir außerstande, die verschiedenen Verbannungstypen und Verbannungsfälle geordnet darzustellen. Hätte uns nicht A. M. Ar-w einen Brief geschrieben, wäre der Leser auch um den nachfolgenden Bericht gekommen. 1943 traf in seinem Dorf bei Wjatka die Nachricht ein, daß ein Landsmann, Koschurin, vormals Kolchosbauer, später Soldat bei der Infanterie, entweder ins Strafbataillon versetzt oder, das blieb unklar, unverzüglich erschossen worden war. Bei seiner Frau und ihren sechs Kindern – das älteste war zehn Jahre, das jüngste sechs Monate alt, außerdem lebten zwei Schwestern von ihr im Haus, zwei alte Jungfern, so um die fünfzig – tauchten sofort die Vollstrecker auf (der Leser weiß bereits Bescheid, damit wird das Wort «Henker» beschönigend umschrieben). Ohne daß man ihnen Zeit ließ, etwas zu verkaufen (das Haus, die Kuh, die Schafe, das Heu, das Heizholz – alles blieb zurück, greif zu, wer will), wurden alle neune, die Bündel obenauf, auf einen Schlitten gepackt und bei grimmigem Frost ins sechzig Kilometer entfernte Kirow-Wjatka gefahren. Wie sie die eisige Fahrt heil überstehen konnten, weiß Gott allein. Nach anderthalb Monaten in der Kirower Peresylka kamen sie in eine Töpferwerkstatt bei Uchta. Dort suchten die beiden ledigen Schwestern die Müllhaufen nach Eßbarem ab, verloren den Verstand und gingen zugrunde. Die Mutter mit den Kindern hatte es nur der Hilfe der Einheimischen zu verdanken, daß sie am Leben blieb. (Ideologische Schwäche kam in jener unpatriotischen, wenn nicht gar antisowjetischen Hilfe zum Ausdruck.) Die heranwachsenden Söhne gingen später zur Armee und zeichneten sich, wie’s so heißt, «durch Fleiß und Ausdauer bei der militärischen und politischen Schulung» aus. Als die Mutter 1960 ins Heimatdorf zurückkehrte, fand sie an der Stelle, wo einst ihre Isba stand, keinen Balken, keinen Ofenziegel mehr.
    Solch ein niedliches Sujet – würde es sich denn gar so übel ausmachen in der prächtigen Girlande des Großen Vaterländischen Sieges? Man bringt es nicht an; es sei untypisch.
    Dies aber, die Verschickung der Krüppel des Vaterländischen Krieges, in welches Bukett ist es hineinzuwinden, in welche Verbannungskategorie einzuordnen? Fast gar nichts wissen wir darüber. Sie wurden auf eine bestimmte nördliche Insel verbannt; verbannt – weil sie sich zu Ehren des Vaterlands im Krieg haben verstümmeln lassen, verbannt – damit sie der Ertüchtigung unserer in allen Sparten der Leicht-und Schwerathletik sowie des Ballspiels so siegreichen Nation nicht im Wege stünden. Dort, auf der unbekannten Insel, werden diese unglückseligen Helden des Krieges verständlicherweise ohne Brieferlaubnis gehalten (selten erreichten Briefe das

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