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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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heute regnen wird, obwohl der heitere Himmel nichts darüber verrät. Nach dem Regen, da ist er noch lange schwarz und verhangen, aber die Ameisen sind bereits hervorgekrochen und machen sich emsig ans Werk: Sie wissen genau, daß der Regen vorbei ist.
    Hier in meiner Verbannungsstille erkannte ich so unbestreitbar deutlich den wahren Verlauf von Puschkins Leben: Das erste Glückslos die Verbannung in den Süden, das zweite und höchste die Verbannung auf sein Gut Michailowskoje. Dort hätte er sein Leben leben sollen, nirgendwohin sonst strebend. Welches Geschick zog ihn nach Petersburg? Welches Geschick trieb ihn zur Heirat? …
    Schwer fällt es indes dem Menschenherzen, auf dem Wege des Verstandes zu verweilen. Schwer ist es für einen Holzspan, anderswohin zu schwimmen als mit dem Strom.
    Der XX. Parteitag wurde eröffnet. Von Chruschtschows Rede bekamen wir lange nichts zu hören. (Auch als sie schon nach Kok-Terek gelangt war, hielt man sie vor den Verbannten geheim, wir erfuhren davon durch die Londoner BBC.) Doch es genügte mir, in einer frei zugänglichen, gewöhnlichen Zeitung die Worte Mikojans zu lesen, daß dies der «erste Leninsche Parteitag» nach soundso vielen Jahren sei, um zu verstehen: Mein Feind Stalin war gefallen, womit mir der Aufstieg offenstand.
    Ich suchte um die Revision meines Urteils nach.
    Im Frühjahr dann wurden alle Achtundfünfziger aus der Verbannung entlassen.
    Und ich, so schwach, verließ meine klare Verbannung. Und fuhr in die trübe Welt.

    Was ein gewesener Sek empfindet, wenn er von Ost nach West die Wolga überquert und dann einen ganzen Tag lang im ratternden Zug durch russische Wälder fährt – gehört nicht in dieses Kapitel.

    Im Sommer, schon in Moskau, rief ich bei der Staatsanwaltschaft an: Wie’s mit meiner Eingabe stehe? Man bat um einen zweiten Anruf – und eine wohlwollende, ganz unamtliche Stimme lud mich zu einem Gespräch in die Lubjanka ein. Im berühmten Passierscheinbüro auf dem Kusnezki-Most hieß man mich warten. Ich ahnte ja, daß mich irgendwessen Augen bereits aufs Korn genommen hatten und gründlich mein Gesicht durchforschten, also legte ich mir, innerlich stets auf der Hut, einen gutmütigen, müden Ausdruck zu und tat, als beobachte ich das Kind, das mitnichten drollig im Empfangsraum spielte. Ich hab’s erraten: Mein neuer Untersuchungsrichter stand in Zivil daneben und nahm mich in Augenschein! Nachdem er sich zur Genüge davon überzeugt hatte, daß ich kein wutschnaubender Feind war, trat er heran und geleitete mich mit artigem Zuvorkommen in die Große Lubjanka. Bereits unterwegs gab er seiner Betrübnis über mein zerstörtes (von wem denn??) Leben Ausdruck, o wie schlimm, daß ich ohne Frau, ohne Kinder geblieben war … Doch die muffigen, mit Glühbirnen bespickten Gänge der Lubjanka waren immer noch dieselben, durch die man mich geschoren, hungrig, schlaflos geführt hatte, die Knöpfe abgeschnitten, die Hände auf dem Rücken. – «An was für einen Wüterich sind Sie da bloß geraten mit Ihrem Untersuchungsrichter Jesepow?! Ich erinnere mich, von ihm gehört zu haben, der ist jetzt degradiert.» (Sitzt wahrscheinlich im Nebenzimmer und schimpft über den meinigen …) «Ich hab ja in der Marineabwehr Smersch gedient, da gab’s von diesen Typen keinen!» (Habt uns den Rjumin beschert. Habt einen Lewschin, einen Libin beherbergt.) Doch ich nicke ihm treuherzig zu: Jawohl, gewiß. Er lacht sogar über meine alten Stalin-Witze von 1944: «Wie trefflich beobachtet!» Er lobt meine Kriegserzählungen, die dem Dossier als Belastungsmaterial beigeheftet sind: «Da ist doch nichts Antisowjetisches drin! Soll ich sie Ihnen mitgeben? Versuchen Sie’s doch bei einem Verlag.» Aber ich lehne mit kranker, rein wie vom Sterbebett geflüsterter Stimme ab: «Ach nein, wo denken Sie hin, ich habe die Literatur längst an den Nagel gehängt. Wenn mir noch einige Lebensjahre beschieden sind, möchte ich sie der Physik widmen.» (Die Zeichen der Zeit! So werden wir halt fortan mit euch Blauen spielen!)
    Greine nicht, wenn man dich prügelt, heul als Ungeprügelter! Irgend etwas hat uns das Gefängnis ja mitgeben müssen. Zumindest die Übung im richtigen Umgang mit der Tscheka-GB.

7
Die Seki in Freiheit
    Dieses Buch hat bereits ein Kapitel «Die Verhaftung». Ob es jetzt eines Kapitels «Die Enthaftung» bedarf?
    In der Tat ist ja von jenen, über die einst die Verhaftung hereingebrochen war (wir wollen ausschließlich von den

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