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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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erste Mal abgeht, dann ist das unserer nachsichtigen Zeit zu verdanken.
    Aber das sind noch weniger Politische, das sind «Religiosniki», die es in erster Linie zu erziehen gilt: Indem man sie wegen ihres Glaubens aus der Arbeit entläßt; indem man Komsomolzen animiert, ihnen die Fensterscheiben einzuschlagen; indem man sie mit administrativen Maßnahmen zum Besuch antireligiöser Vorträge zwingt; indem man mit Schneidbrennern Kirchentüren aufbricht; indem man mit Traktoren Kirchenkuppeln einreißt; indem man Feuerwehrspritzen gegen alte Frauen einsetzt. (Das heißt Dialog, ihr Herren französische Kommunisten!)
    Wie man den Potschajewer Mönchen im Rat der Deputierten der Werktätigen erklärte: «Wenn wir uns an die sowjetischen Gesetze halten, können wir lange auf den Kommunismus warten.»
    Und nur im äußersten Fall, wenn die Erziehung nicht hilft – na, dann muß man eben das Gesetz bemühen.
    Doch hier zeigt unser heutiges Gesetz seine ganze strahlende Ritterlichkeit: Wir richten nicht hinter verschlossenen Türen, wie unter Stalin, und nicht in Abwesenheit, unsere Gerichtsverfahren sind sogar halböffentlich (sie finden vor einer Halböffentlichkeit statt).
    Ich habe die Aufzeichnungen über den Baptistenprozeß in der Hand, der im Januar 1964 in Nikitowka, Donbas, stattfand.
    Er spielte sich folgendermaßen ab: Die Baptisten, die von auswärts kommen, um dem Prozeß beizuwohnen, werden unter dem Vorwand der Personalkontrolle drei Tage im Gefängnis festgehalten (bis der Prozeß zu Ende ist, und um sie einzuschüchtern). Ein freier Bürger, der den Angeklagten Blumen zuwirft, erhält zehn Tage Arrest. Ebenso ein Baptist, der während der Verhandlung mitschreibt; die Mitschrift wird ihm abgenommen (es gab aber noch eine zweite). Eine Gruppe ausgesuchter Komsomolzen wird durch eine Seitentür eingelassen, damit sie vor den anderen die ersten Reihen besetzen. Während der Verhandlung ertönen aus dem Publikum Rufe: «Mit Benzin überschütten und anzünden – alle!» Das Gericht wehrt dieser «gerechten Empörung» nicht. Typische Verhandlungsmethoden: Man läßt gehässige Nachbarn aussagen; man läßt eingeschüchterte Minderjährige aussagen; zwei Mädchen werden vorgeführt, eines neun, das andere elf Jahre alt (Hauptsache, wir kriegen den Prozeß hin, was aus diesen Mädchen wird, ist uns schnuppe). Ihre Heftchen mit religiösen Texten dienen als Beweisstücke.
    Einer der Angeklagten, Basbej, ist Vater von neun Kindern und Bergarbeiter. Als Baptist hat er vom Gewerkschaftskomitee seiner Grube nie auch nur die geringste Unterstützung erhalten. Doch seine Tochter, eine Schülerin der achten Klasse, war beschwatzt und bestochen worden (fünfzig Rubel vom Gewerkschaftskomitee), auch einen Studienplatz hatte man ihr versprochen. Und sie machte in der Voruntersuchung abenteuerliche Aussagen gegen ihren Vater: Er habe sie mit gärig gewordener Limonade vergiften wollen; die Gläubigen hätten im Wald, wo sie sich zum Gebet versammelten (in der Siedlung verfolgte man sie), «einen Sender betrieben – einen hohen, mit Draht umwickelten Baum». Die falschen Aussagen bereiteten Nina schwere Gewissensqualen, sie wurde nervenkrank und kam in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Trotzdem läßt sie das Gericht vorführen, in der Hoffnung, daß sie ihre Aussagen wiederholt. Doch sie nimmt alles zurück! «Der Untersuchungsrichter hat mir diktiert, was ich sagen soll.» Macht nichts, der Richter wischt sich über die Stirn und erklärt zynisch die letzten Aussagen Ninas für ungültig, und ihre ursprünglichen Aussagen für allein gültig. (Überhaupt, wenn die für die Anklage günstigen Aussagen zusammenbrechen, wird jedesmal diese Umkehrtaktik angewendet: Das Gericht ignoriert die mündliche Verhandlung und stützt sich auf die manipulierte Voruntersuchung: «Moment mal … In Ihrer Aussage steht wörtlich … Vor dem Untersuchungsrichter haben Sie angegeben … Woher nehmen Sie sich das Recht zu widerrufen? … Dafür können Sie auch bestraft werden!»)
    Der Richter geht nie auf die Sache, nie auf die Wahrheit ein. Diese Baptisten werden deshalb verfolgt, weil sie die Prediger nicht anerkennen, die der Vertreter des Kirchenamtes, ein Atheist ihnen schickt. Sie wollen ihre eigenen Prediger haben (nach Baptisten-Recht kann jedes Gemeindemitglied Prediger werden). Doch es gibt einen Beschluß des Gebietsparteikomitees: Widerspenstige sind zu verurteilen, die Kinder den Eltern abzunehmen. Und

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