Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
dem Gang der Untersuchung herauszuhalten hat. Wahrscheinlich wurden kameradschaftliche Begegnungen mit Erfahrungsaustausch gefördert, «Bestarbeiter» als Vorbilder hingestellt; ja, auch das «materielle Interesse» nicht vernachlässigt: Gehaltszulagen für Nachtarbeit, Prämiengelder für Zeiteinsparungen bei der Vernehmung; ja, auch die obligaten Warnungen erteilt: Wer mit dem Auftrag nicht zu Rande kommt … Und wäre nun in irgendeiner Gebiets-NKWD eine Panne passiert, dann hätte auch der dortige Chef in aller Unschuld vor Stalin hintreten können: Folteranweisungen hat er direkt niemals erteilt! Und dennoch die Folter besorgen lassen!
Wir wollen versuchen, einige der einfachsten Kunstgriffe aufzuzählen, die, ohne am Körper Spuren zu hinterlassen, den Willen und die Persönlichkeit des Häftlings zerbrechen.
Beginnen wir mit den psychischen Methoden. Für ein Karnickel, dem die Gefängnisqualen ganz unverhofft zuteil wurden, sind diese Methoden von ungeheurer, mehr – von zerstörerischer Kraft. Ja, selbst wenn du von den Überzeugten einer bist, ist’s auch nicht leicht.
1. Fangen wir bei den Nächten an. Warum wurde gerade die Nacht zum Brechen der Seelen erkoren? Warum war die Wahl von Anbeginn auf die Nacht gefallen! Weil der Häftling, der aus dem Schlaf gerissen wird (auch einer, der noch nicht mit der Schlaflosigkeit gemartert wurde), um ein Stück nachgiebiger ist als zur nüchternen Tagesstunde.
2. Der aufrichtig klingende Zuspruch. Das allereinfachste. Wozu das Katz-und-Maus-Spiel? Nach einigen Tagen in der gemeinsamen Zelle hat der Häftling die Gesamtsituation bereits erfaßt. Und der Untersuchungsrichter spricht träge und freundschaftlich auf ihn ein: «Du siehst ja selbst, daß du nicht rauskommst. Wenn du nicht nachgibst, machst du dich bloß kaputt. Schone deine Gesundheit. Sobald du im Lager bist, gibt’s frische Luft und Licht … Unterschreib also lieber gleich.» Sehr logisch. Und vernünftig, wer zustimmt und unterschreibt, wenn … Ja, wenn es lediglich um einen selber ginge! Doch selten trifft sich’s so. Der Kampf ist unausweichlich.
Eine andere, auf den Parteimann gemünzte Art des Zuspruchs: «Wenn es im Land Mängel und Hunger gibt, dann müssen Sie als Bolschewik für sich entscheiden: Können Sie annehmen, daß die ganze Partei daran schuld ist? Oder die Sowjetmacht?» – «Nein doch, natürlich nicht», beeilt sich der Leiter des Textilkonzerns zu antworten. «Dann haben Sie doch den Mut, die Schuld auf sich zu nehmen!» Und er nimmt sie!
3. Grobes Fluchen. Ein simpler Trick, recht wirksam allerdings bei wohlerzogenen, weichen, feinfühligen Menschen. Zwei Fälle von Priestern sind mir bekannt, die aufs bloße Fluchen hin nachgaben. Gegen den ersten (Butyrka, 1944) wurde die Untersuchung von einer Frau geführt. Anfangs konnte er sich in der Zelle des Lobes nicht genug tun, wie höflich sie sei. Doch eines Tages kam er ganz verwirrt zurück und wollte lange nicht damit herausrücken, mit welcher Raffinesse sie plötzlich loslegte, ein Bein über das andere geschlagen. (Es tut mir leid, daß ich einen ihrer Aussprüche hier nicht anbringen kann.)
4. Der Schlag mit dem psychologischen Kontrast ! Plötzliche Übergänge: Während des ganzen Verhörs äußerst liebenswürdig sein, mit Vatersnamen titulieren, das Blaue vom Himmel versprechen. Dann plötzlich den Briefbeschwerer packen: «Pfui, du Dreckskerl! Neun Gramm ins Genick!» – und mit ausgestreckten Armen, wie um ihm in die Haare zu fahren, als wüchsen Nadeln aus den Fingernägeln, auf den Häftling zu, näher, ganz nah (bei Frauen wirkt die Masche bestens).
Als Spielart: Zwei Untersuchungsrichter lösen einander ab. Der eine ist ein Bluthund, der andre sympathisch, beinahe herzlich. Der Untersuchungshäftling zittert jedesmal: Wer wartet drinnen? Der Kontrast drängt ihn zum zweiten, er möchte ihm alles unterschreiben und auch gestehen, was gar nicht war.
5. Die einleitende Erniedrigung. In den berühmten Kellern der Rostower GPU («Nummer 33»), unter dem dicken Glas des obenliegenden Gehsteigs (ein ehemaliges Lagerhaus), wurden die Verhafteten in Erwartung des Verhörs bäuchlings in den Gefängnisgang gelegt: und Kopfheben verboten, Sprechen verboten. So lagen sie wie betende Mohammedaner einige Stunden lang, ehe sie der Wärter an der Schulter rüttelte und zum Verhör abführte. – Alexandra O-wa hatte auf der Lubjanka die gewünschten Aussagen verweigert. Man brachte sie nach Lefortowo. Bei der
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