Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
erschossen 1918 in Petrograd.
Anitschkow, Wassilij Iwanowitsch, erschossen 1927 auf der Lubjanka.
Swetschin, Alexander Andrejewitsch, Professor im Generalstab, erschossen 1935.
Reformatski, Michail Alexandrowitsch, Agronom, erschossen 1938 in Orjol.
Anitschkowa, Jelisaweta Jewgenjewna, erschossen 1942 in einem Lager am Jenissej.
Man sagt, Konstantin Rokossowski, der künftige Marschall, sei 1938 zweimal zur angeblichen nächtlichen Exekution in den Wald gefahren, vor die Gewehrläufe gestellt und zurück ins Gefängnis gebracht worden. Auch dies ist ein Höchstmaß, als kriminalistische Finte angewandt. Ging ja auch gut aus, er lebte und gedieh und war gar nicht böse.
Und töten läßt sich der Mensch fast immer ohne Aufbegehren. Meistens können sich die Begnadigten nicht erinnern, daß sich in ihrer Zelle jemand gewehrt hätte.
12
Tjursak, die Gefängnishaft
Schon der letzte Monat des Jahres 1917 begann Licht in die Sache zu bringen: Ohne Zuchthäuser ging es ganz und gar nicht, immer fanden sich welche, die nirgendwo sonst unterzubringen waren als hinter Gittern (s. Kapitel 2) – na einfach, weil es in der neuen Gesellschaft keinen Platz für sie gab.
Natürlich wurde sogleich verlautbart, daß sich die Schrecken des zaristischen Kerkers niemals wiederholen würden. Glücklicherweise klärte sich die Situation bald dahingehend, daß die wichtigsten Zuchthäuser, die Zentrals oder Ostrogs, im Bürgerkrieg keinen Schaden erlitten hatten.
Erinnern wir uns auch an die erste Solowezker Idee: Guter Ort ist, was ein halbes Jahr ohne Verbindung zur Außenwelt liegt. Da kannst du rufen, soviel du willst – keiner hört’s, darfst dich unsertwegen auch anzünden.
Den naiven Glauben an die Kraft des Hungerstreiks schöpften wir aus den Erfahrungen der Vergangenheit und desgleichen – aus der Literatur der Vergangenheit. Hingegen stellt der Hungerstreik eine Waffe rein moralischen Charakters dar: Die Wirksamkeit ist überhaupt erst gegeben, wenn man voraussetzen kann, daß der Kerkermeister noch einen Rest von Gewissen besitzt – oder Angst vor der öffentlichen Meinung hat.
Die zaristischen Kerkermeister waren rechte Grünlinge: Wenn bei ihnen ein Häftling zu hungern begann, gerieten sie in Panik, welch Jammer, welche Not – und brachten ihn ins Spital. Der Beispiele gäbe es mehr als genug, aber es soll ja diese Arbeit nicht ihnen gewidmet sein. Es klingt geradezu lächerlich, daß Walentinow nur zwölf Tage zu hungern brauchte, um die Aufhebung der Untersuchungshaft, nicht bloß irgendwelcher Haftprivilegien, zu erreichen (worauf er sogleich in die Schweiz zu Lenin fuhr). Selbst im Orlowsker Zuchthaus, dem dortigen Katorga-Zentral, waren alle Hungerstreiks siegreich. 1912 wurde eine Milderung des Haftregimes erwirkt und 1913 eine weitere, den gemeinsamen Spaziergang aller politischen Strafgefangenen betreffende, welcher selbst wiederum offensichtlich so wenig von den Wachen behelligt wurde, daß sie es zustande brachten (Häftlinge eines Zentralen Katorga-Gefängnisses!), ihren «Brief an das russische Volk» zu verfassen und herauszuschmuggeln, auf daß er veröffentlicht werde. (Da kann unsereins nur den Mund aufsperren! Sind die noch bei rechtem Verstand?)
Während der Revolution von 1905 und in den Jahren danach fühlten sich die Häftlinge so ganz als Herr im eigenen Kerker, daß sie sich gar nicht mehr die Mühe gaben, mit dem Hungerstreik zu drohen, sondern entweder das staatseigene Inventar demolierten (Obstruktion) oder gar auf den Gedanken verfielen, in den einfachen Streik (ohne Hunger) zu treten, obwohl doch die Vorstellung «streikender Gefangener», möchte man meinen, ein glatter Unsinn ist.
In den zwanziger Jahren beginnt sich das muntere Hungerstreiksbild zu verdüstern (was freilich auch vom Blickwinkel abhängt …). Doch man konnte in all diesen Jahren mit dem Hungerstreik zumindest persönliche Forderungen durchsetzen.
In den dreißiger Jahren vollzieht sich im staatlichen Denken, den Hungerstreik betreffend, eine neue Wendung. Selbst diese geschwächten, isolierten, halberstickten Hungerstreiks sind dem Staate, wie unschwer einzusehen, zu nichts nütze. Ob’s dem Ideal nicht näherkäme, wenn man davon ausginge, daß die Gefangenen überhaupt keinen eigenen Willen zu haben, keine Entscheidungen zu treffen hätten – das Denken und Lenken überlaß einer der Direktion! Wenn man’s so recht bedenkt, dürfte es nur für solche Sträflinge in der neuen Gesellschaft eine
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