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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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nächsten Tag ans Aufsichtspersonal zurückgeben»), desgleichen der Zukauf im Laden, solange eben die limitierten Geldüberweisungen reichten.
    Ein nicht unbedeutender Teil des Strafvollzugs beruht auf der richtigen Wahl des Mobiliars. Die Adamowa beschreibt sehr eindrucksvoll die Freude, die sie empfand, als sie nach all den tagsüber aufgeklappten Liegen und am Boden verschraubten Stühlen in der Zelle von Susdal ein einfaches Holzbett mit Strohsack, einen einfachen Holztisch zu sehen bekam und betasten durfte. Im Wladimirer TON machte I. Kornejew zwei Regime durch: unter dem einen (1947/48) wurden dem Häftling die eigenen Kleider belassen, man durfte auch tagsüber liegen, und der Wertuchai kümmerte sich wenig ums Guckloch. Unter dem anderen (1949–53) wurden die Zellen doppelt versperrt (vom Wertuchai und vom diensthabenden Offizier), liegen war verboten, laut sprechen war verboten (in Kasan durfte man nur flüstern!), die persönlichen Sachen mußten abgegeben, eine gestreifte Häftlingskluft aus Matratzenstoff getragen werden; Brieferlaubnis gab’s zweimal im Jahr, und auch das nur an zwei vom Gefängnisdirektor ohne Vorankündigung bestimmten Tagen (wer den Tag versäumte, mußte schon auf den nächsten warten), und die Länge des Briefes war auf die Hälfte eines Schreibmaschinenbogens beschränkt; grimmige Filzungen standen auf der Tagesordnung, rechte Überfälle, mit splitternacktem Antreten draußen im Gang. Am schärfsten nahmen sie Kontakte zwischen den Zellen aufs Korn; das ging so weit, daß die Aufseher nach jedem Austreten mit Laternen die Aborte durchstöberten und in jede Muschel hineinleuchteten.
    Wegen einer Kritzelei an der Wand wurde die ganze Zelle in den Karzer gesteckt. Die Karzer waren die Geißel der TONs. Bloßes Husten konnte einem der Karzer einbringen («Stecken Sie zum Husten gefälligst den Kopf unter die Decke!»), auch das Hinundhergehen in der Zelle (Kosyrew: da galt man als «tobsüchtig») oder ein lautes Auftreten (in Kasan bekamen die Frauen Männerschuhe Größe 44 zugeteilt). Im übrigen hat die Ginsburg vollkommen recht: Der Karzer wurde nicht für Vergehen, sondern nach einem Zeitplan ausgeteilt: Der Reihe nach hatte jeder mal reinzukommen, auf daß er wisse, was ein Karzer ist. Die Gefängnisordnung vermerkte auch noch diese äußerst flexible Variante: «Im Falle sich der Häftling im Karzer Disziplinlosigkeiten [?] zuschulden kommen läßt, ist der Gefängnisdirektor berechtigt, die Karzerstrafe bis auf zwanzig Tage zu verlängern.» Und worin besteht sie, die «Disziplinlosigkeit»? … Hier, wie Kosyrew es erlebte (die Beschreibung des Karzers und vieler anderer Eigenarten des Regimes stimmt bei allen genau überein; das Regime war wie eine Warenmarke rechtlich geschützt). Weil er in der Zelle herumging, bekam er fünf Tage Karzer rund um die Uhr. Herbst war, der Karzer wurde nicht geheizt, Kosyrew fror erbärmlich. Kleider und Schuhe nahmen sie einem fort. Auf dem staubigen Erdboden stand ein Schemel (manchmal war der Boden auch nasser Schlamm, in Kasan standen die Häftlinge im Wasser und hatten – J. Ginsburg – auch keinen Schemel zum Sitzen). Gleich am Anfang sah sich Kosyrew schon tot, erforen. Doch allmählich stieg eine Art innerer geheimnisvoller Wärme in ihm hoch, die die Rettung bedeutete. Er lernte im Sitzen zu schlafen. Dreimal am Tag brachten sie einen Becher voll heißen Wassers, er wurde trunken davon. In der Brotration, dreihundert Gramm, fand er einmal ein Stück Zucker: ein Wärter hatte es trotz des Verbots in die Krume gedrückt. An den Brotstücken maß Kosyrew die Zeit; ein schwacher Lichtstrahl, der durch irgendein Fensterchen des Ganglabyrinths hereinfiel, half ihm dabei. Da waren nun die fünf Tage um – aber niemand kam ihn aus dem Karzer holen. Sein Gehör war ja geschärft: So vernahm er ein Geflüster im Gang, um sechs Tage ging es oder um den sechsten Tag. Darin eben lag die Provokation: Jetzt würde er reklamieren, würde die Freilassung verlangen – und sie könnten ihm daraufhin wegen begangener Disziplinlosigkeit den Karzer verlängern. Er aber saß demütig und schweigend den übrigen Tag ab – und wurde, als wäre nichts geschehen, herausgeholt. (Vielleicht hat der Gefängnisdirektor jeden einzelnen solcherart auf die Gefügigkeitsprobe gestellt. Der Karzer ist für jene da, die sich noch nicht unterworfen haben.)
    Nach dem Karzer kam ihm die Zelle wie ein Schloßgemach vor. Ein halbes Jahr lang war Kosyrew taub und

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