Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Ein Fenster haben sie nicht, eine Lampe auch nicht, das Licht aus dem Korridor muß reichen. Und noch was: Das Wasser auszuschenken ist zu umständlich, eigene Becher besitzen die Häftlinge nicht; wer einen hatte, mußte ihn abliefern, und drum heißt’s, die Leute aus den zwei staatseigenen Gefäßen zu tränken, da stehst du also, während sie sich satt trinken, daneben und schöpfst und schöpfst und bedienst sie noch. (Wenn sie wenigstens untereinander einig wären, aber nein: «Laßt zuerst die Gesunden trinken», schrein schon wieder welche, «und dann erst die Tbc-ler, und dann die Syphilitiker!» Als ob’s in der Nebenzelle nicht wieder von vorn begänne: «Zuerst die Gesunden …»)
Doch all dies wäre noch zu ertragen, das Wassertragen und das Ausschenken, täten sie nicht, kaum daß sie sich vollgesoffen haben, diese Säue, gleich nach dem Austreten schreien. Denn so ist es: Gibst du ihnen kein Wasser, brauchen sie nicht auszutreten, läßt du sie einmal am Tag trinken, geben sie sich mit einem Mal zufrieden, bringst du ihnen aus lauter Mitleid zweimal Wasser, müssen sie zweimal hinaus. Am günstigsten ist’s noch immer, sie wasserlos zu halten.
Und nicht deswegen haben sie was gegen’s Austreten, weil sie den Abort schonen wollen, sondern deswegen, weil es eine verantwortungsvolle, ja eine militärische Operation ist: ein Gefreiter und zwei Soldaten sind auf lange damit beschäftigt. Zwei Posten werden aufgestellt: einer an der Aborttür, einer am anderen Gangende (damit keiner entwischt), der Gefreite hat unentwegt die Abteiltür auf-und zuzuschieben, den Rückkehrenden hinein-, dann den nächsten herauszulassen. Die Order verbietet, mehrere auf einmal rauszulassen, es könnte Aufruhr, Fluchtversuche geben. Und so ergibt es sich, daß der eine auf seinem Weg zum Abort die dreißig Häftlinge seines Abteils und die hundertzwanzig des ganzen Waggons und dazu noch ein Wachkommando aufhält! Drum: « Dawai, dawai ! … Schneller! Schneller!», der Gefreite treibt ihn an, der Soldat hilft nach, der Häftling eilt und stolpert durch den Gang, als ob er diese Klobrille dem Staate stehle. (Der einbeinige Deutsche Schulz, dem das russische Dawai inzwischen schon verständlich war, mußte 1949 im Stolypin Moskau – Kuibyschew auf seinem einen Bein zum Klo und zurück hüpfen, die Wachen brüllten vor Lachen und wollten es noch schneller haben. Der Posten, der im Windfang vor der Klotür stand, schubste ihn beim nächsten Mal. Schulz fiel hin. Darob erzürnt, begann der Posten ihn auch noch zu schlagen – und Schulz, der sich unter seinen Schlägen nicht aufrappeln konnte, kroch auf den Händen in den schmutzigen Abort hinein. Die Wachen krümmten sich.)
Um Fluchtversuche während der im Abort verbrachten Sekunden zu vereiteln, außerdem auch die Umlauffrequenz zu steigern, wird die Tür zum Abort nicht geschlossen, und der Posten, der den Vorgang der Entleerung beobachtet, läßt sich ermunternd vernehmen: « Dawai, dawai! … Schluß jetzt, für dich reicht’s!» Manchmal lautet das Kommando von vornherein: «Nur klein!» – und dann paßt der draußen schon auf, daß es dabei bleibt. Na, und die Hände werden natürlich niemals gewaschen: Das Wasser ist knapp und die Zeit nicht minder. Der Häftling braucht bloß den Hahn am Waschtisch zu berühren, schon schnauzt ihn der Posten an: «He du, Hände weg, raus mit dir!» (Wer in seinem Bündel ein Stück Seife oder ein Handtuch hat, läßt es aus lauter Scham drinnen: das sähe sehr nach Frajer aus.) Die Toilette schwimmt im Dreck. An den Füßen klebt der flüssige Kot, aber schneller! schneller! Der Häftling zwängt sich wieder ins Abteil, klettert über fremde Hände und Schultern nach oben, und dann hängen seine schmutzigen Schuhe von der obersten Pritsche zur mittleren herab und tropfen.
Wenn Frauen austreten, müßte die Tür nach den Geboten der Wachdienstordnung und des gesunden Menschenverstands ebenfalls offen bleiben, aber damit halten sie’s nicht immer so streng: «Na schön, mach zu.» (Eine Frau muß das Klo danach auch noch putzen, da stehst ja wieder daneben, auf daß sie nicht Reißaus nimmt.)
Doch auch ungeachtet dieses raschen Tempos braucht es fürs Austreten von hundertzwanzig Menschen mehr als zwei Stunden – mehr als das Viertel einer Dreipostenschicht! Und am Ende ist alle Mühe umsonst gewesen! Es findet sich ja immer irgendein tapriger Alter, der in einer halben Stunde wieder zu flennen beginnt, und klar, daß man ihn
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