Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Enteignung ausbeuterischen Besitzes, das Kloster in Brand gesteckt (25. Mai 1923). Die Gebäude wurden beschädigt, aus der Sakristei verschwanden viele Schätze, und obendrein, und das war die Hauptsache, verbrannten alle Register, so daß sich niemals mehr feststellen ließ, wieviel und was alles verlorengegangen war.
Auf jegliche Untersuchung verzichtend, was flüstert uns das revolutionäre Rechtsbewußtsein (lies Spürsinn) ein? Wer trug Schuld an der Brandlegung? – Ha, doch niemand sonst als das schwarze Mönchspack, fortgewischt sei’s darum, hinübergefegt aufs Festland – und schon standen die Solowezki-Inseln bereit, die nördlichen Lager zur besonderen Verwendung aufzunehmen! Achtzig-, ja hundertjährige Mönche baten kniefällig, dableiben und auf der «heiligen Erde» sterben zu dürfen – gegen die proletarische Unerbittlichkeit kamen sie nicht an; nur wer unbedingt gebraucht wurde, durfte bleiben: die Fischer, die Viehzüchter von Muksalma; und Vater Methodius, der sich aufs Kohleinlegen verstand; und Vater Samson, der Gießer; und ähnlich nützliche Väter. (Sie bekamen einen vom Lager abgesonderten Winkel des Kreml zugewiesen, ein eigenes Tor, das Heringstor, und wurden fortan Arbeitskommune genannt; großes Entgegenkommen, das man ihnen, angesichts der vollkommenen «Opiumvernebelung», fürs Beten die Onufrij-Kirche auf dem Friedhof beließ.)
So wurde ein beliebter Häftlingsspruch wahr: «Heilig Ort steht niemals leer.» Verstummt waren die Glocken, verloschen die Öllämpchen vor den Heiligenbildern, die Kerzenständer ohne Kerzen, und keine große Liturgie wurde mehr gesungen, kein Abendgottesdienst mehr abgehalten, niemand murmelte den Psalter durch die Tage und Nächte, die Ikonostasen verfielen (in der Verklärungskirche blieb eine übrig), dafür aber kamen im Juni 1923 wackere Tschekisten herbeigeeilt, fersenlange Mäntel trugen sie und als besonderes Solowezker Kennzeichen schwarze Ärmelaufschläge, schwarze Kragenspiegel und schwarz umrandete Schirmmützen ohne Stern darauf. Der Auftrag lautete, ein mustergültig strenges Lager, den Stolz der Arbeiter-und Bauernrepublik, zu errichten.
Als «Traum vieler Häftlinge» bezeichnet die Zeitschrift Die Solowezki-Inseln (1930, Nr. 1) die Zuteilung einer Standardkluft. Nur die Kinderkolonie wird ganz neu eingekleidet. Die Frauen hingegen bekommen weder Wäsche noch Strümpfe, nicht einmal ein Tuch für den Kopf: Hat man Frau Nachbarin im Sommer geschnappt – bringe sie den Polarwinter im Sarafan dahin. Darum sitzen viele Häftlinge gar in ihrer Unterwäsche in den Schlafräumen und werden nicht zur Arbeit hinausgetrieben.
So teuer ist die Anstaltskleidung, daß auch folgende Szene auf den Solowki niemandem wunderlich oder unsinnig erscheint: Mitten im Winter streift ein Gefangener vor dem Kreml seine Kleidung, seine Schuhe ab, übergibt das Zeug fein säuberlich einem Wärter und läuft splitternackt die zweihundert Meter bis zu einem anderen Menschenhäuflein hinüber, wo er sich wieder anziehen darf. Die Erklärung: Eine Häftlingsübergabe ist es, von der Kremlverwaltung an die Verwaltung der Filimow-Zweigbahn – tät man ihn nämlich in Kleidern übergeben, könnten sich die neuen Bewacher um die Rückgabe der Sachen drücken oder sie betrügerisch gegen schlechtere vertauschen.
Hier ein weiteres winterliches Bild, aus gleichen Sitten, jedoch anderer Ursache geboren. Das Lazarett wurde für «antisanitär» befunden, daraufhin der Befehl erteilt, mit heißem Wasser schleunigst alles durchzuputzen. Und die Kranken, wohin mit ihnen? Der Kreml ist überbelegt, die Bevölkerungsdichte ist auf dem Solowezker Archipel höher als in Belgien (und im Solowezker Kreml erst?). Also legt man die Kranken auf Decken in den Schnee und läßt sie drei Stunden draußen. Nach dem großen Reinemachen trägt man sie zurück.
Haben wir’s noch im Gedächtnis, daß unser Neuling ein Kind des Silbernen Zeitalters ist? Er weiß noch nichts von einem Zweiten Weltkrieg und nichts von Buchenwald. Er sieht die Gruppenführer in den groben Matrosenjoppen, wie sie voreinander und vor den Ranghöheren stramm militärisch salutieren – und zugleich ihre Arbeiter mit langen Stöcken zusammentreiben ( Dryn heißt der Stock, und schon ist das davon abgeleitete Tätigkeitswort aller Welt verständlich: drynowat ). Er sieht, wie Schlitten und Leiterwagen nicht von Pferden, sondern von Menschen (mehreren in einem Gespann) gezogen werden, und auch dafür gibt’s
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