Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
Vom Netzwerk:
dargestellten, die die sowjetischen Handelsvertretungen in Europa verbreiteten, vorzügliches Papier, glaubhafte Fotos der heimeligen Klosterzellen.
    Verleumdung hin, Verleumdung her, der Zwischenfall war dennoch bedauerlich! Also machte sich eine WZIK-Kommission unter dem Vorsitz des «Gewissens der Partei», des Genossen Solz, auf den Weg, um zu ergründen, was denn nun wirklich auf den Solowki geschah (sie wußten ja nichts!). Allerdings fuhr die Kommission nur die Murmansker Eisenbahnlinie ab und kehrte, ohne sonderlich Ordnung geschaffen zu haben, nach Moskau zurück. Denn es war inzwischen als viel nützlicher befunden worden, auf die Insel den eben erst in die proletarische Heimat zurückgekehrten großen Dichter Maxim Gorki zu schicken, nein, nicht zu schicken – ihn um einen Besuch derselben zu bitten. Wes Zeugnis konnte ein besseres Dementi der niederträchtigen ausländischen Falschmeldung sein?!
    Das Gerücht eilte dem Besucher voran, die Herzen der Sträflinge begannen höher zu schlagen, die Bewacher waren aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Man muß die Häftlinge kennen, um sich ihre Erwartungen vorzustellen! Der Falke und Sturmvogel stößt ins Nest der Rechtlosigkeit, der Willkür und des Schweigens vor! Der führende russische Schriftsteller! Er wird es ihnen schon zeigen! Der läßt sich nicht den Mund verbieten! Ach, Väterchen Gorki, hilf und beschütz! Auf Gorki setzte man beinahe wie auf die allgemeine Amnestie.
    Beunruhigt war auch die Obrigkeit: Häßliche Scharten wurden ausgewetzt, großer Potemkinscher Putz aufgezogen. Vom Kreml gingen Transporte zu den entlegenen Außenstellen ab, das Hauptlager sollte tunlichst entvölkert werden; die Sanitätsräume wurden saubergeschrubbt, viele Kranke gesundgeschrieben. Dann steckten sie wurzellose Tannen in den Boden (würden wohl einige Tage frischbleiben) – und fertig war die «Allee» zur Kinderkolonie, dem jüngsten, drei Monate zuvor geschaffenen Stolz des USLON, mit sauber gekleideten Kindern, keinen sozial-fremden Kindern, i wo, und wie sollte es Gorki nicht interessieren, wie die Minderjährigen erzogen, gerettet und dem künftigen Leben im Sozialismus zugeführt wurden?
    Eine Panne gab es nur in Kern: Auf der Popow-Insel wurde die «Gleb Boki» beladen, die Häftlinge in Unterwäsche und Säcken, als plötzlich die Gorki-Gefolgschaft auftauchte, um just dieses Schiff zu besteigen! Oh, Erfinder und Denker! Wie knackt ihr diese Nuß? Ach, auch der Klügste macht mal einen Schnitzer: Eine kahle Insel, kein Strauch, kein Versteck – und bis zu den Gorki-Adlaten sind es nur dreihundert Schritt … Guter Rat ist teuer! Wohin mit der Schande, diesen Männern in Säcken? Die ganze Reise des Großen Humanisten verlöre ihren Sinn, erblickte er sie jetzt. Na freilich, er würde sich schon wegzuschauen bemühen, aber helft ihm doch! Im Meer sie ertränken? – da strampeln sie noch lange … In die Erde vergraben? – die Zeit ist zu kurz … Nein, nur ein würdiger Sohn des Archipels findet einen Ausweg! Befahl der Anordner: «Schluß mit der Arbeit! Zusammenrücken! Noch enger! Hinsetzen! Sitzenbleiben!» – und warf eine Plane darüber. «Wer sich rührt, dem gnade Gott!» Und der einstige Lastträger erklomm das Fallreep, beguckte sich vom Deck aus die Gegend, eine ganze Stunde lang bis zur Abfahrt – bemerkte nichts …
    Es war der 20. Juni 1929. Der berühmte Schriftsteller ging in der Bucht der Glückseligkeit an Land, neben ihm die Schwiegertochter, ganz in Leder (schwarzes Käppi, Lederjacke, Reithosen aus Leder und enge hohe Stiefel) – ein lebendiges Symbol der OGPU, Schulter an Schulter mit der russischen Literatur.
    Von den Spitzen der GPU geleitet, durchschritt Gorki in raschem Tempo die Gänge einiger Wohnhäuser. Die Türen standen alle offen, aber er schaute kaum in ein Zimmer hinein. In der Sanitätsstelle hatten die frischeingekleideten Ärzte und Schwestern in Zweierreihen Aufstellung genommen, er sah gar nicht hin, ging hinaus. Und nun führten ihn die Tschekisten furchtlos auf die Sekirka. Na und? – Die Karzer standen, wie sonst niemals, leer, und wichtiger noch: Die Stangen waren verschwunden! Auf den Bänken saßen Diebe (schon gab es viele auf den Solowki), allesamt – in Zeitungen vertieft! Keiner wagte es, aufzustehen und eine Klage vorzubringen, sie hatten sich aber was anderes ausgedacht: die Zeitungen verkehrt zu halten! Und Gorki trat an einen heran und drehte schweigend die Zeitung um, so wie sich’s gehörte. Er

Weitere Kostenlose Bücher