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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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»Sie ist dein –« Aber da hatte er bereits Veras Arm gepackt, als wollte er sich auf sie stürzen, sie zur Besinnung bringen und diesen Alptraum wie ein unsichtbares Netz zerreißen.

75
    Der Bogen musste fast drei mal zwei Meter groß sein. Ein Grundriss. Deutlich waren die Straßen zu erkennen, die den Häuserblock begrenzten. Ein gigantisches Areal in Form eines unregelmäßigen Vierecks.
    Ben strich den Grundriss des vielgestaltigen Gebäudeblocks glatt.
    Er hatte den Schlüssel aus der Stifteschale geholt, die Schublade aufgeschlossen und die Pläne auf dem Tisch ausgebreitet. Es waren Aufrisse, Fassadenskizzen, Fotos, Baupläne, innenarchitektonische Entwürfe. Aber erst als er den Grundriss hervorgeholt hatte, fand Ben sich allmählich in den unterschiedlichen Maßstäben, Darstellungsformen und Ausarbeitungen zurecht.
    Alle Skizzen und Pläne betrafen das gleiche Projekt. Einen ganzen Häuserblock. Nicht ein einzelnes Haus, sondern eine Fläche von fast zweihundert Metern Seitenlänge, ringsum von Straßen umgeben.
    Bens Blick wanderte über den Grundriss. Es war ein Plan des Erdgeschosses. Eine Ladenpassage war eingezeichnet, Büroräume, das Foyer eines Wohnhauses, Rampen, die in eine Tiefgarage führten. In der Mitte des Plans aber befand sich ein schraffiertes Gebiet. Ein Areal, nicht größer als etwa acht mal sechzehn Meter. Ein Areal, das an keiner seiner Seiten an eine Straße grenzte, sondern von anderen Gebäudeteilen ganz umschlossen wurde. Ein Innenhof? Ein Lichtschacht?
    Ben rollte den Plan zur Seite und nahm sich die Fotos vor, die darunter lagen. Die Fassade des Häuserblocks. Unterschiedliche Gestaltungen gaben dem massiven Bau den Anschein, aus mehreren einzelnen Häusern zu bestehen. Auf einem Foto aus der Bauphase jedoch konnte Ben erkennen, dass der gesamte Block aus
einem
Betonguss gemacht war, dass die verschiedenen Fassaden nur davorgehängt waren.
    Er zog eine Satellitenaufnahme unter den anderen Plänen hervor, die den gleichen Maßstab wie der Grundriss aufwies. Das Dach des Blocks war deutlich zu erkennen. Es zog sich ganz durch! Der schraffierte Kern in der Mitte des Plans – das konnte kein Lichtschacht sein. Auf dem Foto war von diesem Kern nichts zu sehen. Der Block, das komplexe Gebäude wirkte wie ein massiver Kasten.
    Ben hob die beiden Bögen hoch und sah die anderen Blätter durch, die sich darunter befanden. Ein Plan für Zu- und Abwasserleitungen. Elektrik. Belüftung. Glasfaserkabel. Die Leitungen der einzelnen Gewerke waren auf durchsichtigen Folien verzeichnet. Eine nach der anderen legte er sie über den Grundriss. Deutlich zeichnete sich ab, dass die Läden, Büros, das Foyer, sämtliche Räume und Gebäudeteile bestens versorgt waren. Die roten, gelben, blauen, braunen und schwarzen Linien, die die verschiedenen Leitungen markierten, schlangen sich durch alle Bereiche. Nur der schraffierte Kern in der Mitte blieb ausgespart. Als befände sich dort ein Loch.
    Ungeduldig schob Ben die Papiere beiseite, wühlte sich durch das Material, das er noch aus der Schublade geholt hatte. Erst jetzt fielen ihm eine Reihe von Fotos auf, mit denen er zunächst nicht viel hatte anfangen können. Sie wirkten wie Aufnahmen aus einer Tiefgarage. Niedrige, gedrungene Räumlichkeiten. Sichtbeton. Schwere Träger. Ein Schacht, der meterhoch aufragte, nicht jedoch die schraffierte Fläche sein konnte, da er viel zu schmal dafür war. Eine sich spiralförmig in die Tiefe schraubende schiefe Ebene. Mehrere unscheinbare Betonkammern. Belanglose rechteckige Wände, Decken, Ecken. Allesamt fensterlos.
    Und dann sah er es. Unter den Plänen, die Sebastian auf dem Tisch liegengelassen hatte, befand sich ein weiterer Grundriss, der den gleichen Häuserblock darstellte. Der gleiche Betonblock, mit den gleichen vorgehängten Fassaden, den gleichen Laden- und Büroräumen.
    Aber der Kern, das schraffierte Areal in der Mitte, fehlte. Die Läden auf der einen Seite stießen mit den Büros auf der anderen Seite zusammen.

76
    »Ich kann nicht hier mit dir reden«, schrie er.
    Veras Arme standen wie verkrampft von ihr ab. »Wir können sie hier nicht allein lassen.« Die Worte flogen aus ihrem Mund. »Ich bring sie zurück –«
    Ein Schrei entrang sich dem Mann, es klang, als ob er in Flammen stünde.
    »Was soll ich denn machen?«
    »Das fragst du mich?« Er schien vollkommen vergessen zu haben, dass Mia sich im Raum befand. »Sperr sie ein, tu es nicht, mach doch, was du willst!«
    Vera

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