Der Architekt
führen. Eine Welt ganz für sich. Eine Welt des Verbrechens, der Gitter, der Strafe. Ich schreibe ein Buch darüber. Es fasziniert mich.«
Das stimmte nicht ganz. Er hatte nicht vor, ein Buch über Moabit zu schreiben, aber er argwöhnte, dass sie sofort aussteigen würde, wenn sie erfuhr, dass er in Wahrheit ein Buch über den Fall Götz plante.
»Ich fürchte, ich war vorhin nicht sehr freundlich zu Ihnen«, sagte sie nach einer Weile.
»Es tut mir leid, wenn ich aufdringlich war«, gab Ben zurück. »Ich habe gar nicht nachgedacht, als ich Sie ansprach. Es ist einfach passiert.«
»Hier, hier können Sie abbiegen und dort vorn anhalten, vielen Dank.«
Sie hatten eine Seitenstraße der Königstraße erreicht. Ben fuhr um die Kurve, lenkte den Wagen an den Bürgersteig und beugte sich über das Steuerrad, um zu sehen, an was für einem Haus sie ihn hatte halten lassen. Hinter einer Hecke war die eindrucksvolle Fassade eines Gebäudes zu erkennen, das zweifellos neu gebaut worden war und dennoch klassisch wirkte.
»Hier wohnen Sie?« Er lächelte sie an.
»Es ist das Haus von Julian und meiner Schwester. Er hat es gebaut.« Sie erwiderte seinen Blick.
»Es ist eins von Götz’ Häusern?«
Ihre Augen sind braun, dachte Ben. Zugleich hatte er das Gefühl, in ihnen lesen zu können, dass sie seinen Blick bemerkt hatte.
»Eine Auftragsarbeit.« Sophie wandte sich ab und schaute durch das Seitenfenster nach draußen. »Aber es hat Christine so gut gefallen, dass sie ihn bat, es selbst zu behalten. Der Bauherr hat mitgespielt. Julian hat ihm das Grundstück für viel Geld abgekauft.«
Ben sah wieder durch das Fenster nach draußen. Sein Blick huschte über die verschiedenen Details des ganz in Weiß gehaltenen Hauses. Langgestreckte Rechtecke, solide Formen, minimale Variationen – und doch ein Bau, dessen Komposition so ausgewogen war, so durchwirkt von einem entschlossenen Formgefühl, dass Ben sich dem Eindruck, den das Haus auf ihn machte, nicht entziehen konnte.
»Es sieht bemerkenswert aus.«
Sophie nickte. Dann stieß sie die Beifahrertür auf. »Kommen Sie. Wenn Sie möchten, zeig ich es Ihnen.«
22
Mia lag auf dem Rücken, ihr Kopf hing tief nach hinten, ihr Körper war ein wenig nach oben gewölbt. Aus dem Augenwinkel heraus konnte sie Dunja sehen, die wenige Schritte neben ihr auf einer ganz ähnlichen Liege ausgestreckt war.
»Ist es recht so?« Über Mia erschien das hübsche Gesicht einer zierlichen jungen Frau, die sich um sie kümmerte.
»Ja.« Mia zwinkerte beruhigend mit den Augen. »Bestens.«
Das Gesicht verschwand wieder, und sie spürte, wie sich die kleinen Hände der Frau erneut in ihre herabhängenden Haare wühlten.
»Was soll denn das? Kannst du nicht aufpassen!«
Entrüstet hatte sich Dunja aufgerichtet und an ein Mädchen gewandt, das sich genauso um sie kümmerte wie die zierliche Frau um Mia. »Das brennt doch in den Augen!« Dunja nahm das Handtuch herunter, das ihr das Mädchen gereicht hatte, und warf Mia darüber hinweg einen Blick zu. »Wenn man nicht aufpasst, ruinieren sie einen hier noch vollkommen …«
Mia bemerkte, dass ihre Freundin die Stimme künstlich in die Höhe gezogen hatte, und lachte.
»Lass dir hier bloß nicht die Nägel machen!« Unwirsch warf Dunja dem Mädchen, das eingeschüchtert am Kopfende der Liege stehen geblieben war, das Handtuch zu. »Sie ziehen sie dir glatt aus dem Nagelbett!«
Mia spürte, wie sich die kleinen Hände der Frau, die sie betreute, an ihre Kopfhaut schmiegten und in kreisenden Bewegungen darüber hinwegwanderten. Sie atmete aus und schloss die Augen. Hörte das verhaltene Atmen der Frau über sich. Das Murmeln, das helle Lachen, die Rufe der anderen Frauen, die sich in den Kabinen neben ihnen aufhalten mussten.
23
Es kam Ben so vor, als würde er die Reichskanzlei betreten oder den Obersalzberg. Es war das Aufstrebende, das in sich Ruhende, das »Kaltblütige«, wie er einmal gelesen hatte, das diese Formensprache beherrschte. Eine Art eisgefrorener Art déco, bei dem scheinbar kein Element überflüssig und alles einem einheitlichen Formwillen unterworfen war. Ein Eindruck, von dem Ben nicht leugnen konnte, dass er in seiner Eleganz, in seiner »Entschlossenheit« reizvoll war, dass er ihn fast süchtig danach machte, immer wieder mit dem Auge die geraden Linien auf und ab zu wandern. Hinunter zu dem stabilen Fundament, auf dem jeder Pfeiler, jede Säule ruhte – hinauf zu dem einfachen, edlen Abschluss, mit
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