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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Wesentlichen ging es um ästhetische Fragen: Eine massive Formensprache, gestufte Fassaden, Steinplatten – der Gruppe zufolge waren das die Insignien einer Machtarchitektur, die nicht mehr zeitgemäß sei.«
    »Machtarchitektur?« Hohlbeck hatte die Stirn gerunzelt.
    »Zu klobig, zu massig, zu schwerfällig. Ein Bau, der die Menschen eher einschüchtern würde, als das Stadtbild zu bereichern.« Der Gutachter lächelte fast wie entschuldigend. »Es ging sogar so weit, dass sie nachzuweisen versuchten, inwiefern der Entwurf von Herrn Götz den zur Verfügung stehenden Baugrund, also das Areal, das stadtplanerisch genutzt werden sollte, nicht optimal ausnutzte.«
    »Nun gut.« Eine Spur Ungeduld schien sich in Hohlbecks Miene geschlichen zu haben.
    »Herr Götz hatte die Debatte zunächst weitgehend ignoriert«, fuhr der Gutachter fort, »das aber war der Moment, an dem es gewissermaßen zum Eklat kam. Der Senat hatte die beiden Parteien zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen, und bei dieser Diskussion begann Herr Götz nun seinerseits, die Entwürfe der Freien Architekten, die bei dem Wettbewerb zur Bebauung des Häuserblocks leer ausgegangen waren, zu attackieren. ›Ich würde mich schämen, ein Haus zu bauen, dessen Innereien nach außen gestülpt sind‹, wetterte er und bezog sich dabei auf das Design ihres Konkurrenzvorschlags.«
    Hohlbeck hatte den Blick zurück auf seinen Monitor gerichtet.
    »Wie gesagt«, beeilte sich der Gutachter hinzuzufügen, »ich bin selbst kein Architektur-Experte, aber ich weiß, dass beim Entwurf der Freien Architekten die gesamte Technik des Baus – Elektrik, Heizung, Lüftung, Müllschlucker, Frisch- und Abwasser – nicht wie bei Götz
versteckt,
sondern geradezu explizit in den Blick des Betrachters gerückt wurde. Dass Abwasserrohre, Müllschlucker etc. also
außen
an der Fassade des Hauses entlanggeleitet werden sollten. Und Götz gelang es nun, diese ästhetische Entscheidung seiner Konkurrenten als etwas hinzustellen, für das
er
sich als Entwerfender geradezu
schämen
würde. Als würde man als Architekt bei so einem Vorschlag den Passanten gleichsam zwingen, auf die eigene Entblößtheit, Nacktheit, ja auf die eigenen Innereien zu starren, verstehen Sie?«
    »Hm.« Hohlbeck wirkte unschlüssig.
    »Ich war nicht dabei«, führte der Gutachter weiter aus, »aber es gibt Aussagen, die bezeugen, dass Herr Götz bei dieser Diskussion in gewisser Weise jedes Maß aus den Augen verloren hat. Dass er zu toben begann, ein Gebäude müsse Geborgenheit vermitteln, dürfe dem Betrachter, dem Bewohner nicht das Gefühl geben, jeden Augenblick zusammenfallen zu können. ›Kompakt, schwer, festgefügt, auf dem Boden ruhend.‹ Der ganze Diskurs, die Sprache, die Götz wählt, ist in gewisser, raffinierter Weise ja ein Spiegel der Ästhetik, die er in seinen Gebäuden zeigt. Es geht um Solidität, um Erdbezogenheit, ja, ich glaube, auch das ist eine seiner Vokabeln: Erdbezogenheit. Und dieser Stil ist dem Stil der Freien Architekten geradezu diametral entgegengesetzt, die betonen, dass das Aussehen eines Gebäudes dann optimiert ist, wenn seine Funktion optimiert ist. Die also betonen, dass es der Anstand vom Architekten fordert, gerade
keinen
Teil des Gebäudes in seinem Design zu verstecken.«
    »Ja?« Hohlbeck schaute ein wenig angestrengt. »Kommen Sie zum Punkt, verehrter Kollege, wir alle brauchen dringend eine Pause.«
    Ein Schatten von Missstimmung huschte über das Gesicht des Ermahnten. »Der Punkt ist, dass die Stimmung eskalierte und Herr Götz schließlich brüllte, er werde sich eine Stadt wie ein Raumschiff nicht bieten lassen, er werde dagegen vorgehen, und zwar mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stünden –
notfalls mit Gewalt.
Dann fielen die Worte, auf die es der Staatsanwaltschaft ankommt. ›Ich lasse nicht zu, dass Sie ein Projekt gefährden …‹« Der Gutachter musste auf ein Papier blicken, um den Wortlaut im Ganzen zitieren zu können. »›… das noch Jahrzehnte, Jahrhunderte nach uns das Bild dieser Stadt prägen wird. Ich lasse mir meine Bauten weder von Ihnen noch von meiner Frau oder sonst jemandem zerstören – selbst nicht von meinen Töchtern!‹«

19
    »Alles klar?« Dunja legte Mia eine Hand auf den Arm. Erst jetzt fiel Mia auf, dass ihre Freundin sich vorhin im Wagen zurechtgemacht hatte. Ihre Augen waren dezent betont, ihre Lippen schimmerten im Widerschein der Neonlampe.
    Mia nickte, und Dunja öffnete die Tür, vor der

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