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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Marco gehalten hatte. Dahinter wurde eine Betontreppe sichtbar.
    »Jetzt wieder rauf.« Dunja warf Mia einen lachenden Blick zu.
    Es roch feucht, erdig, nahezu schimmelig in dem Treppenhaus. Eilig und lieblos mit breitem Filzer gemalte Graffiti zogen sich zwischen abgerissenen Aufklebern an den Wänden entlang.
    Mias Turnschuhsohlen knirschten über die verschmutzten Betonstufen. Nach drei oder vier Absätzen hörten die Graffiti langsam auf. Sicherungskästen waren an der Mauer angebracht, in eine Ecke schien jemand gepinkelt zu haben. Eine Plastiktüte klebte am Boden, das Geländer war eingedellt.
    »Stopp!« Dunja war hinter Mia stehen geblieben und nickte in Richtung einer Tür, die sich auf einem Treppenabsatz zwischen zwei Stockwerken befand und in der Farbe der unbehandelten Betonwand angemalt war. Daneben war eine kleine weiße Plastikklingel zu sehen.
    Mia sah Dunja fragend an.
    »Wollen wir?« Dunja lächelte.
    »Ja.« Mia zögerte. »Ich denke schon.«
    »Also los!« Dunja betätigte die Klingel und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine abgenutzte Überwachungskamera, die unter den Stufen des oberen Absatzes so angebracht war, dass ihr Objektiv auf sie zielte.
    In der Tür klickte es.
    Dunja beugte sich vor, drückte die Klinke herunter, stieß die Tür auf und betrat die dahinterliegende Öffnung. Mia folgte ihr.
    »Siehst du, es ist gar nichts dabei«, flüsterte Dunja und ließ die Tür, die sie für Mia aufgehalten hatte, hinter ihr wieder zufallen. Der Schnapper rastete ein. Ein kurzes, metallisches Knacken, bei dem Mia plötzlich erschrak.
    Hatte sie einen Fehler gemacht?
    Unwillkürlich beugte sie sich nach vorn und betätigte die Klinke. Die Tür ließ sich ohne weiteres öffnen. Dahinter lag das verwahrloste Betontreppenhaus.
    Dunja hatte die Augenbrauen zu einem Dreieck gestellt. »Was?«
    Mia lachte. »Nichts.«
    Sie ließ die Tür wieder ins Schloss fallen, drehte sich um und hakte sich bei ihrer Freundin ein. Der Gang, der vor ihnen lag, war nur schwach beleuchtet. Das entfernte Brummen von Musik drang zu ihnen durch.

20
    »Entschuldigen Sie.« Ben trat einen Schritt nach vorn, die Gläser ihrer Sonnenbrille wirkten auf ihn wie die schwarzen Augen eines Insekts. »Das ist sicher sehr unhöflich, aber ich habe den Prozess ein wenig verfolgt und hatte Sie neulich schon ansprechen wollen.«
    Nachdem der Richter die Verhandlung für eine Mittagspause unterbrochen hatte, war Ben über Treppe N zum Hauptgang gelaufen. Er hatte Hunger und sich in einem der Imbisse vor dem Kriminalgericht ein Brötchen holen wollen.
    Als er an dem Eingang zum Gerichtssaal vorbeiging, war ihm aufgefallen, dass Frau Voss, die während der Verhandlung nur wenige Plätze neben ihm auf einer der Zuschauerbänke gesessen hatte, ein paar Schritte vor ihm langsam Richtung Ausgang ging. Kurz entschlossen hatte er sie überholen wollen und in dem Moment, als er an ihr vorbeilief, einen unauffälligen Blick zur Seite geworfen. Ihre Augen hatten hinter der Sonnenbrille angestrengt gewirkt, und Ben hatte den Eindruck, dass man ihr ansah, wie sehr der Prozess ihr zusetzte. Er war noch ein paar Schritte weitergelaufen, dann jedoch stehen geblieben und hatte sich etwas unbeholfen zu ihr umgedreht.
    »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie unendlich leid es mir tut.«
    Er spürte, wie seine Stimme brüchig wurde. »Was Ihrer Schwester und Ihren Nichten passiert ist –« Unwillkürlich fuhr seine Hand nach vorn und griff nach der Hand der jungen Frau. Für einen Augenblick meinte er, durch ihre Brillengläser hindurchschauen zu können, zu sehen, wie sie seinen Blick erwiderte. Da ließ er auch schon alle Vorsicht fahren, zog sie an sich, spürte, wie das Schluchzen ihren Körper erschütterte, legte den linken Arm vorsichtig um ihre Schultern und hielt sie fest, während der Kummer an ihr rüttelte, ihren Kopf, ihren Körper ganz auszufüllen schien.
    Es dauerte nur einen Augenblick.
    »Entschuldigen Sie …« Schon löste sie sich wieder aus der Umarmung, ein Taschentuch in der Hand, die Brille noch immer vor den Augen. »Danke.« Sie wirkte verloren.
    »Kommen Sie.« Ben trat zur Seite. Hatte er ihr regelrecht den Weg versperrt?
    Schweigend liefen sie den Gang entlang. Kurz bevor sie in das gewaltige Haupttreppenhaus hinaustraten, warf sie ihm einen Blick zu. »Danke, es geht schon wieder.«
    »Ja.« Er lächelte und nickte nach rechts, als müsste er im Treppenhaus rechts entlanggehen.
    Sie nickte ebenfalls. Dann bog sie links ab,

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