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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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in seinem Kopf, der Mann ist kein Jammerlappen, er wird einfach darüber hinwegspringen. Aber Ben spürte, dass der Schwung, in den er sich geredet hatte, schlagartig verflogen war.
    Götz’ Gesicht war blass, er hatte den Stuhl losgelassen, sich aufgerichtet.
    »Überlegen Sie es sich«, lenkte Ben ein, noch selbst erschrocken darüber, wie plötzlich er abgestürzt war.
    »Doch, doch«, kam es da leise von Götz, »was Sie da sagen, ist vielleicht gar nicht so falsch.«
    Ben zögerte, konnte die Augen nicht von seinem Gegenüber abwenden. Da war es wieder, dieses Spitze ins Götzens Gesicht, als ob jemand die Haut an seinem Hinterkopf zusammenziehen würde.
    »Es eilt ja nicht«, stammelte Ben, dem all seine Überlegenheit fortschwamm, »wir brauchen das ja nicht heute zu entscheiden.«
    Und plötzlich war es da, ein anderes Gefühl, aufgeplatzt in ihm genau in dem Moment, in dem Götz auf seinen Vorschlag eingegangen war. Das Gefühl, dass er vielleicht einen Fehler beging, dass er sich vielleicht niemals auf diesen Mann hätte einlassen dürfen. Und für einen Augenblick kam es Ben so vor, als würde ein mannshoher Raubvogel vor ihm stehen und seine schwarzen Flügel ausbreiten.
    »Ist schon okay«, zischelte es, »ich rede mit Seewald. Ich will mit Ihnen arbeiten, Lindenberger. Sie haben mich überzeugt.«
    NEIN , brauste es in Ben auf. Und die Angst, die ihn die ganze Zeit über dazu getrieben hatte, auf Götz einzureden, als ginge es um sein Leben, schien mit einem Mal in sein Herz gesprungen zu sein.

29
    Als hätte ihr verändertes Äußeres auch das Wesen der Gäste vollkommen verändert, herrschte eine seltsam beruhigte, gedämpfte, auch lauernde Stimmung in dem Saal, den Mia betreten hatte. Die Köpfe hatten sich wieder abgewandt, man bewegte sich vorsichtig und wie eingegossen in einen zähflüssigen Sirup. Die Augen aber, die durch die Öffnungen der Gummihäute hindurchsahen, waren wach, scharf, feucht.
    Mia fühlte, wie ihr Atem heiß unter die Maske fuhr, wenn sie ausatmete. Eine dünne Schweißschicht hatte sich unter der Plastikhaut bereits gebildet. Und obwohl der Raum gut belüftet war, glaubte sie auch den Dunst der anderen Körper riechen zu können, der sich unter der schwarz verlorenen Kuppel des Saals zunehmend verfing.
    »Warum Masken?«, hatte sie Dunja gefragt, als man ihnen die Gummihäute gegeben hatte, aber Mia hatte Dunjas Antwort auch selbst schon gekannt.
    »Weil es sich einige Gäste nicht leisten können, dass man sie erkennt«, hatte Dunja gesagt. »Deshalb müssen alle so ein Ding aufziehen, genau wie du.« Dann hatte sie den Gummibezug über Mias Gesicht gestreift, und die zweite, künstliche Haut hatte sich an Mias Kopf festgesaugt.
    Ihr Blick glitt an dem eng anliegenden Stoff hinunter, den sie trug, wanderte zu der Kleidung der anderen Menschen um sie herum. Fast alle waren geschmackvoll angezogen – nachlässig, aber teuer. Es kam Mia so vor, als hätte jeder einzelne von ihnen, ob Frau oder Mann, gerade weil man das Gesicht dem Blick entzogen hatte, besondere Sorgfalt auf die Kleidung verwendet.
    Was waren das für Leute? Sie kamen hierher und stritten es zugleich ab, hier zu sein. Die Masken erlaubten es ihnen, eine Art Parallelexistenz zu führen, eine zweite Existenz, maskiert, ihrer Verantwortung enthoben und doch mit ihrem Körper anwesend, bereit, sich das zu gönnen, was es hier für sie zu holen gab.
    Mias Zeigefinger glitt in eine der beiden Augenhöhlen ihrer Maske, unter die Stirnpartie, verfing sich dort zwischen Schweiß, Gummi und Haut. Sie zog ihn wieder hervor, aber ihre Augenbraue juckte noch immer.
    Sie drehte sich um. Die Plastikgeruch verströmende Maske eines Gastes blickte sie aus dem Dämmerlicht heraus an. Eine Hand hob sich. Einen Augenblick lang kam es Mia so vor, als steckte die Hand in dem hauchdünnen Latex eines OP -Handschuhs – dann aber sah sie, dass sie entblößt war. Eine Hand, die Mia zugleich sensibel und kräftig vorkam, vertrauenerweckend, robust und gepflegt. Die Maske beugte sich zu ihr hinab. Die Mundpartie war geschlossen, nur eine Reihe von Löchern war dort hineingestanzt, wo sich die Lippen befinden mussten.
    »Sind Sie neu hier?«, drang es aus den Löchern zu ihr herüber. Mia wich ein wenig zurück, spürte, wie die Mauer hinter ihr aufragte.
    Der Mann vor ihr wandte sich ab. Ihr fiel auf, dass hinter seiner Maske schwarzes, kräftiges Haar hervorquoll.
    »Sie auch?«, stammelte sie und sah, wie sich das Plastikantlitz

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