Der Architekt
eines entsetzlichen Verbrechens ist und dafür dann auch noch angeklagt wird. Der unschuldig mit dem Justizsystem in Konflikt gerät. Und zwar gerade nicht …« Ben merkte, dass er den Löffel, mit dem er seinen Kaffee umgerührt hatte, beinahe wie einen Zeigefinger in die Luft hielt. »… und zwar gerade nicht«, wiederholte er und nahm den Löffel herunter, »nur im Rahmen eines schlecht gemachten Fernsehbeitrages von einer Minute vierzig Sekunden, sondern im Rahmen einer Publikation, die sorgfältig recherchiert ist und genug Raum bietet, um Hintergründe und Zusammenhänge angemessen zu beleuchten.«
»Das finde ich gut.« Frau Voss nickte.
Ihr Mann sah weniger überzeugt aus.
»Was denkst du, Papa«, rief Sebastian ihm zu. »Das ist doch großartig, oder? Für Julian, meine ich, für das Opfer, wie Herr Lindenberger sagt.«
»Das Opfer? Was ist mit meiner Tochter?«, schnaubte Gebhart. »Ist sie kein Opfer?«
»Aber nein, nicht doch«, Sebastian wedelte mit den Händen, »so hat Herr Lindenberger das doch nicht gemeint!«
»Natürlich nicht«, stellte Ben klar, obwohl er auf die Unterstellung, er könnte Christine
nicht
als Opfer bezeichnen wollen, am liebsten gar nicht eingegangen wäre.
»Sie werden also auch auf meine Schwester zu sprechen kommen, ja?!« Sebastian lächelte ihn an. »Auf Svenja und Pia ebenfalls?«
Ben spürte, wie seine Handflächen kalt wurden. »Selbstverständlich.«
»Werden Sie Abbildungen in dem Buch bringen? Von den beiden, meine ich?«
Vorsicht! »Ich … das werde ich mit Herrn Götz noch besprechen müssen.«
»Das wäre sicher das Beste, oder?« Sebastian ließ ihn nicht aus den Augen. »Wenn die beiden Mädchen zu sehen wären, nicht wahr? Um das Schicksal der Familie am besten darzustellen, meine ich.«
»Wie gesagt, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«
»Und wir?« Sebastian schlug die Rechte vor den Mund wie eine Frau, nahm sie aber gleich wieder herunter. »Papa, hast du das verstanden? Er wird ja auch uns beschreiben in seinem Buch!«
»Wie, ›uns‹?« Gebhart hatte sich aufgesetzt und etwas steif zu Ben gedreht.
»Na, mich, dich, Mama … Wollen Sie auch eine Aufnahme von meinen Kindern –«
»Sebastian«, entfuhr es seiner Frau, »bist du wahnsinnig!«
»Natürlich nicht!« Energisch stellte Ben die Kaffeetasse auf den Tisch zurück. »Das ist doch Unsinn! Selbstverständlich werde ich Ihre Kinder nicht in diese Geschichte hineinziehen. Es tut mir leid, aber, ich meine … Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ja, gehört das denn nicht dazu?«
»Basti, nun hör schon auf!« Sophie hatte ihrem Bruder eine Hand auf den Arm gelegt. »Natürlich werden eure Kinder nicht erwähnt.«
»Ich finde die ganze Idee, diese Geschichte auf den Markt zu werfen, eine, entschuldige, Franziska, ausgemachte Schweinerei.« Gebhart hatte sich nach vorn gebeugt, den Ellbogen auf den Tisch gestützt. »Und ich möchte auch nicht, dass Sie mich in Ihrem Buch erwähnen.« Der alte Mann zögerte. »Tut mir leid, wenn ich Ihnen damit einen Strich durch die Rechnung mache. Normalerweise bin ich ein Freund von Büchern, aber, nein, das ist doch zu schmerzlich, zu hässlich, zu traurig, das muss nicht sein. Das hilft niemandem.«
»Das sieht Julian Götz anders«, wandte Ben vorsichtig ein. »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber für ihn ist es natürlich von größter Wichtigkeit, dass durch dieses Buch sozusagen wieder Vernunft einkehrt.« Er nahm den alten Mann in den Blick. Etwas am Gesicht Gebharts störte ihn. Es wirkte stolz, aufrecht, beinahe edel – und doch war der vordergründigste Zug darin vielleicht, dass Gebhart sich nur allzu bewusst war, wie stolz, aufrecht und edel er wirkte. Wie sehr er Wert darauf legte, so zu wirken.
»Ich will nur sagen«, fuhr Ben fort, »dass man sich von einem Mann, von dem man nichts weiß, sehr schnell vorstellen kann, dass er seine Familie erschlägt. Na klar! Das passiert ja immer wieder. Lernt man den Mann aber besser kennen, erfährt man etwas über seine Herkunft, seine Familie, seine Freunde, über das, was er sein Leben lang gemacht hat, dann bekommt die Plausibilität dieser Vorstellung sehr schnell Risse. Schließlich hat jeder sein Leben lang die Erfahrung gemacht, dass jemand, der sich ganz normal benimmt, auch nicht plötzlich um sich schlägt. Deshalb ist es für Herrn Götz und mich – wir ziehen da absolut an einem Strang – auch sehr wichtig, dass wir so viel wie möglich von seinem
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