Der Architekt
den Kopf, den Blick bescheiden auf die Tischplatte gesenkt. »Ich weiß es nicht immer so ganz genau, es gehört ja auch die Putzkolonne dazu, da ändert sich das hin und wieder.«
»Das ist eine enorme Verantwortung.« Franziska Voss wandte den Blick von ihrem Sohn zu Ben, um zu sehen, ob er ihr zustimmte.
»Ja, das ist es«, meinte Sebastian, den Blick nun ebenfalls auf Ben gerichtet. »Aber ich sage immer: Was würde ich nicht für ein wenig Freiheit geben? Und Sie haben sich das ganz einfach selbst ausgesucht? Ist das nicht großartig! Sie wachen eines Morgens auf und denken: Julian Götz – eine tolle Geschichte. Warum mach ich daraus nicht etwas?« Sein Blick sah plötzlich nicht mehr ganz so freundlich aus.
»Ist das wahr? So ist das gekommen?« Sebastians Mutter wirkte ein wenig hilflos.
»Ich habe gestern lange mit Herrn Götz gesprochen«, beeilte sich Ben zu sagen. »Wir sind uns da vollkommen einig. Bei dem Buch kann es nur um eines gehen, und zwar darum, deutlich zu machen, was für eine unvorstellbare Tragödie am 25 . September letzten Jahres über diese Familie hereingebrochen ist.«
»Versteht ihr?«, warf Sebastian dazwischen. »Herr Lindenberger hier hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Art Familienchronik zu schreiben …«
»Das würde ich so nicht sagen«, fiel Ben ihm ins Wort. Er merkte, dass er aufpassen musste, wenn er von Sophies Bruder nicht in eine Ecke gedrängt werden wollte, in der er sehr schnell Schwierigkeiten bekommen konnte. »Nicht die Familie steht bei diesem Bericht im Vordergrund, sondern das, was am 25 . September geschehen ist. Wie es dazu kommen konnte, dass Herr Götz nicht nur festgenommen und befragt, sondern schließlich auch vor Gericht gestellt wurde.«
Sebastian schwieg. Ben sah zu Sophie, die betroffen wirkte. Er stand auf. »Es tut mir leid, ich wollte mich hier nicht aufdrängen.«
»Aber nein, um Himmels willen.« Sebastian erhob sich ebenfalls. »Setzen Sie sich, Herr Lindenberger, ich bitte Sie. Sie sind doch eben erst gekommen.«
»Es war vielleicht keine so gute Idee –«
Ben bemerkte, dass Gebhart sich unwillig abwandte, während seine Frau Sebastian verunsichert ansah.
»Sophie, sag deinem Freund, dass wir ihn so nicht gehen lassen«, ereiferte sich Sebastian, und seine Schwester kam ihm zu Hilfe. »Sie haben ja nicht einmal eine Tasse Kaffee getrunken, Ben«, zwitscherte sie und war schon dabei, aus einer silbernen Kanne in eine noch saubere, von Götz selbst entworfene Tasse einzuschenken.
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«, nötigte ihn Sebastian, in einem Ton, der Ben eigentlich unangenehm war. Andererseits hatte er das Gefühl, dass er seiner Sache vielleicht am meisten schadete, wenn er sich jetzt tatsächlich entfernte, und nahm wieder Platz.
»Wie gehen Sie vor?«, nahm Sebastian den Faden wieder auf. »Haben Sie schon viel Material beisammen?«
Ben nickte, die Tasse an den Lippen, um nicht gleich antworten zu müssen.
»Und was ist Ihr Eindruck? Wird es ein spannendes Buch?«
Versuchte der Mann, sich über ihn lustig zu machen? Wahrscheinlich will er seinen Eltern signalisieren, dass sie sich auf ihren Sohn verlassen können, dachte Ben, dass er mir Eindringling schon klarmachen wird, wer ich bin und wie weit ich gehen darf. Was sollte er auf Sebastians Frage antworten? ›Ja, es wird ein spannendes Buch?‹ Würden sie sich dann nicht darüber empören, dass er aus ihrer Familientragödie einen spannenden Krimi machte? Und wenn er nein sagte? Das konnte er ja wohl schlecht von seinem eigenen Buch behaupten!
»Spannend …« Ben stellte die Tasse zurück auf den Tisch. »Wissen Sie, es geht mir nicht so sehr darum, das habe ich ja eben schon versucht anzudeuten, Spannung zu erzeugen. Es geht mir eher darum, anhand einer wahren Geschichte und unterstützt von einem der Betroffenen im Detail aufzuzeigen, wie das Justizsystem wirklich funktioniert.« Bullshit!, dachte er. Das ist das Letzte, worum es mir geht!
»Das ist natürlich sehr wichtig«, meldete sich jetzt Frau Voss wieder zu Wort.
Hassen sie Götz?, musste sich Ben plötzlich fragen. Hassen sie ihn, weil sie glauben, dass er ihre Tochter, ihre Schwester, ihre Enkelkinder erschlagen hat? Oder halten sie ihn für unschuldig? Und können sie wirklich glauben, dass er es
nicht
gewesen ist?
»Das denke ich auch«, sagte Ben. »Mit dem Buch möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird, was mit jemandem passiert, der Opfer
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