Der Architekt
beschlagen. Sie sah ihn ratlos an.
Ben drehte die rechte Hand einmal im Kreis, wie um zu sagen: Nicht so wichtig. »Ein Zeitungsmann, der immer mal wieder über Ihre Projekte berichtet, hat mir davon erzählt. Er meinte, er würde Herrn Götz sehr gut kennen und wüsste deshalb auch von diesen nächtlichen Spaziergängen.«
Sie sah ihn verblüfft an. »Ach ja?«
»Das sagt Ihnen nichts?«
»Nein.«
»Gleich hier unten im Tiergarten?«
Sie lachte verächtlich. »Wer hat Ihnen denn das erzählt? Herr Götz ist ein vielbeschäftigter Mann! Wir haben zurzeit allein in Berlin drei Baustellen, er hat Lehrverpflichtungen, jeden Tag stehen im Prinzip Hunderte von Millionen auf dem Spiel. Zeit, um im Park zu flanieren«, sie zog ihre Augenbrauen spöttisch zusammen, »bleibt da nicht. Zumindest wäre mir das neu.« Sie sah ihn an, stolz darauf, es so viel besser zu wissen als dieser Schmierfink, dieser Journalist, den er da erwähnt hatte.
Ben atmete auf. »Oh! Okay … gut, vielen Dank, dass Sie das sagen, dann weiß ich Bescheid.« Doch als er sich abwandte, fühlte er sich, als hätte jemand die Innenseite seiner Stirn als Gong benutzt.
36
Mia bewegte sich im Rhythmus der Musik auf der Tanzfläche. Um sich herum, durch die verborgene Lichtanlage von unten raffiniert beleuchtet, spürte sie die anderen Gäste, deren erstarrte Gesichter etwas von ihrer beunruhigenden Wirkung verloren hatten, seitdem sie einem von ihnen unter die Maske geblickt hatte.
Der Mann war noch immer in ihrer Nähe. Nur dass sie sich ihm noch nicht gezeigt hatte, irritierte sie weiterhin, als wäre sie ihm noch nicht als Mensch, sondern bisher nur als Puppe, als Plastik entgegengetreten.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, hatte er zu ihr gesagt und sie auf die Tanzfläche geführt, nachdem er seine Maske wieder heruntergezogen hatte. Ein wenig hatte sie sich wie mit ihm verschworen gefühlt, weil sie sein Gesicht gesehen hatte, und ihren Aufenthalt in diesen Räumen zum ersten Mal wie einen Spaß empfunden. Einen Spaß – wie es ein Spaß sein kann, zusammen Cocktails zu trinken, nachts schwimmen zu gehen oder in ein teures Hotel.
Sie hatten eng getanzt, wenn es die Musik zuließ, und sich auch dann nicht aus den Augen verloren, als sich die Körper, die sie umspülten, einem schnelleren Rhythmus angepasst hatten.
Sie sah, wie er sich erneut zu ihr vorbeugte. »Ich habe die Maske kurz abgenommen«, hörte sie ihn gerade so laut in ihr Ohr sagen, dass er die Musik übertönte, »jetzt bist du dran, etwas für mich zu tun.«
Was soll ich denn machen?, schoss es ihr durch den Kopf.
»Komm mit in den Trichter.« Seine Stimme hatte plötzlich eine seltsame Eindringlichkeit.
Sie bog den Kopf zurück und suchte seine Augen hinter der Maske. Das Wort allein stieß sie ab. ›Trichter‹. Ein Gefühl der Beklemmung, der Beengung, der Atemnot und des Erstickens durchfuhr sie.
Dann hörte sie es. Es klang wie ein Schmatzen, das er mit seinem Mund machte, ein Saugen, Schnalzen, Schlucken, das Geräusch von etwas Weichem, Feuchtem, Klebrigem. Es sprang sie an, als ob ihr jemand einen eiskalten Waschlappen ins Gesicht geklatscht hätte – oder ein blutiges Steak.
Erschrocken suchte sie seine Augen hinter den Löchern der Maske. Doch als sie sie endlich gefunden hatte, wirkten sie plötzlich wie vereitert, verschwollen.
37
»Und? Haben Sie mir ein Kapitel mitgebracht?« Götz’ aquamarinblaue Augen funkelten.
»Ach so!« Ben lehnte sich ruckartig auf seinem Stuhl zurück. »Ich dachte, das hätte sich jetzt erledigt!«
»Ja? Na, ich meine, bringen Sie mir ruhig ab und zu etwas mit, was Sie in der Zwischenzeit geschrieben haben. Dann sehe ich auch besser, was genau wir brauchen. Also Sie, meine ich, für das Buch.«
»Ja.« Ben lächelte dem Wachmann zu, der wieder auf seinem klapprigen Stuhl am Ausgang des Besucherzimmers Platz genommen hatte. »Soll ich«, er schaute zurück zu Götz, »gleich noch mal was holen, bevor wir –«
»Unsinn! Neiiiin, bei nur einem Termin in der Woche lassen Sie uns die Zeit lieber nutzen, Ben!« Götz’ Stimme vibrierte. »Ich darf doch Ben sagen?«
»Gern, Julian.«
»Ja, natürlich, Julian …« Er zeigte die obere Reihe seiner Schneidezähne.
Ben senkte den Blick wieder auf das Papier, das vor ihm lag und auf dem er sich ein paar Notizen gemacht hatte. »Gut. Kindheit, Schule, Studium, erste Aufträge … das ist ja alles schon ganz gut, ich würde gern noch mal auf den Anfang Ihrer Arbeiten
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