Der Architekt
fachmännisch zusammengefaltet. Ben klappte den ersten auf. Ein Grundriss, nicht nur eines Gebäudes, sondern eines ganzen Stadtviertels. »Bülow Quartier – Heidestraße/Humboldthafen« war in der oberen Ecke vermerkt. Darunter das Logo von Götz Town Structures. Es war eine Kopie. Hunderte, Tausende von Maßen, Zahlen, Eintragungen, Vermerken tanzten vor Bens Augen. Ein gelber Post-it-Aufkleber war auf dem Plan befestigt. »Lass uns noch mal sprechen«, hatte jemand mit rotem Kugelschreiber darauf notiert. Mit dem gleichen Kugelschreiber, mit dem an mehreren Stellen des Grundrisses Details eingekreist waren. Mauern? Ecken?
»Hallo?«
Ben fuhr hoch.
Eine junge Frau in einem schwarzen Pullover stand in der noch immer geöffneten Tür des Glaskastens. Sie sah ihn freundlich und doch auch irgendwie irritiert an. »Warten Sie auf jemanden?«
Ben schoss aus dem Stuhl empor. Dank des Computerbildschirms konnte sie nicht gesehen haben, was er machte. Seine Gedanken flogen.
»Nein!«, hörte er sich sagen.
Ihre Augen spiegelten Unverständnis.
Seine Hand schnellte nach vorn, während er auf sie zutrat. »Ben Lindenberger, ich arbeite mit Herrn Götz zusammen.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja?«
»Entschuldigen Sie, dass ich hier so eindringe. Hat Herr Seewald mich nicht avisiert?«
»Seewald?« Sie verstand nicht.
»Der Anwalt von Herrn Götz.«
Ihr Gesicht verrutschte ein wenig, Ben konnte sehen, wie unangenehm es ihr war, auf den Prozess angesprochen zu werden. Ben senkte die Stimme, kam sich fast selbst schon schmierig vor. »Wir schreiben an einem Buch, Herr Götz und ich, wissen Sie, über die Verhandlung. Ich bin ihm da ein wenig behilflich.«
»Eine Art Ghostwriter?« Da konnte sie wieder mitreden.
»Na ja, es ist jetzt keine Autobiographie, eher ein Buch von mir über den Prozess. Aber Herr Götz hat sich bereit erklärt, mitzuarbeiten. Eine Art offizielle Version, wissen Sie.« Das klang gut, das hieß, dass er ganz nah an Götz dran war, aufs engste mit ihm zusammenarbeitete.
»Deshalb wollte ich mich auch einmal in seinem Büro umsehen, das ist ja im Grunde genommen für ihn das Wichtigste. Was er hier mit Ihnen, mit seinen Mitarbeitern, schafft und geschaffen hat. Davon redet er sehr viel.« Ben ließ seine Stimme leicht nachdenklich ausklingen.
Sie freute sich – und hatte es zugleich ein wenig eilig. »Ja, grüßen Sie ihn doch unbedingt von mir«, sagte sie, ohne ihren Namen zu nennen. »Das ist ja alles nicht auszudenken, aber …«
Ben nickte.
»Wissen Sie, wir wussten ja nicht, dass Sie heute –«
»Meine Schuld!«, fiel Ben ihr eilfertig ins Wort. »Ich hätte bei Herrn Seewald natürlich noch einmal nachfragen müssen, ob ich bereits angekündigt worden bin. Wirklich, es tut mir leid, es war eine ganz spontane Idee heute.«
Sie schaute sich um. Ein paar Mitarbeiter hatten jetzt doch mitbekommen, dass er im Arbeitszimmer des Chefs stand, und blickten zu ihnen herüber.
»Wir führen Sie natürlich gern einmal herum«, meinte sie und wandte sich wieder zu Ben. »Es gibt ja eine ganze Reihe von sehr spannenden Projekten zur Zeit. Herr Götz hat da sicherlich auch schon das ein oder andere erwähnt …«
Gedankenverloren brach sie ab, riss sich dann jedoch zusammen. »Im Moment allerdings sind wirklich alle besonders eingebunden.«
»Wollen wir einen Termin ausmachen, vielleicht nächste Woche?«, schlug Ben vor, um ihr die Qual zu ersparen, einen engen Mitarbeiter ihres Vorgesetzten hinauswerfen zu müssen. »Oder … Lassen Sie mich in meinem Büro noch mal die Termine überprüfen. Dann rufe ich Sie an, und wir verabreden einen Tag. Wäre das okay für Sie, Frau …?«
»Rufen Sie beim Empfang an, das Sekretariat dort koordiniert die Termine.« Bei aller Höflichkeit wollte sie offensichtlich nicht wirklich etwas mit ihm zu tun haben.
»Selbstverständlich.« Er trat an ihr vorbei aus dem Glaskasten. »Vielen Dank!«
Bevor er sich jedoch ganz von ihr gelöst hatte, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. »Ach ja, das wäre natürlich toll, wenn das ginge: Ich habe gehört, Herr Götz geht abends sehr gern noch etwas im Tiergarten spazieren, wenn er bei einem Projekt nicht weiterkommt.« Ben gluckste. »Wie um die Gedanken ein wenig zu lüften. Und wo er dann entlanggeht, das würde ich auch gern einmal ablaufen, wissen Sie, das ließe sich sehr stimmungsvoll in den Bericht einbauen.«
Die randlosen Brillengläser der zierlichen Frau wirkten plötzlich wie
Weitere Kostenlose Bücher