Der Arzt von Stalingrad
mit hohem Fieber. Lungenentzündung.
Dr. Kresin und Worotilow taten das einzige, was zu tun war, um neue Komplikationen zu vermeiden: Sie unterschlugen der Kasalinsskaja gegenüber den Bericht.
»Jetzt ist es sowieso zu spät«, sagte Dr. Kresin ernst. »Ich glaube nicht, daß sie in 53/4 Penicillin an die Sträflinge vergeuden! Ich habe ja gewußt, daß wir Sellnow nicht wiedersehen.«
Die Meinung Dr. Kresins von seinen Kollegen in Nishnij Balykleij war nicht falsch, aber im Lager 53/4 lebten noch zwei deutsche Ärzte neben Dr. von Sellnow, zwei Ärzte der SS, denen man in Orscha und Minsk Versuche mit Bazillen und Cholerakulturen an Menschen zur Last legte und deren Leben in diesem Straflager nur eine Verlängerung ihrer Qualen war, ehe man sie hinrichtete. Ihr Tod war eine fest beschlossene Sache, sie wußten es und trugen es mit Standhaftigkeit. Sie arbeiteten wie Sellnow auf dem Eis und hieben Löcher in die Wolga. Am Abend aber schlichen sie von Baracke zu Baracke und halfen den Kranken, so gut sie konnten.
Die notwendigsten Medikamente – unter denen sich unerklärlicherweise auch eine Dose Penicillin befand! – bekamen sie von einem russischen Sanitätsfeldwebel, der 1943 in deutsche Gefangenschaft geriet, 1945 befreit wurde und in der Roten Armee blieb, um hier das kleine Revier des Straflagers zu übernehmen. Seine Sanitätskenntnisse beschränkten sich auf Verbinden von Wunden und Typhusspritzen in die Brustmuskeln. Es war den beiden SS-Ärzten bei aller Aufopferung fast unmöglich, das Lager auf einem gewissen Gesundheitszustand zu halten. Dr. von Sellnow aber konnte mit Hilfe des Penicillins gerettet werden.
In dieses Lager kam Mitte Januar bei starkem Schneegestöber ein Wagen aus Stalingrad. Drei vermummte Männer stiegen aus und rannten durch den Sturm zu der Wachbaracke. Dort schälten sie sich aus den dicken Mänteln und legten die Pelzmützen ab. Es waren zwei russische Offiziere und ein Deutscher. Ein Deutscher in der Uniform eines Majors. Er trug die volle Uniform. Sogar die Auszeichnungen hatte man ihm gelassen. Seine blanken Stiefel glänzten. Es war ein merkwürdiger Anblick, inmitten des verkommenen Lagers, zwischen stinkenden Uniformen und Läusen diese Eleganz zu sehen. Um sie zu verstärken, setzte der deutsche Major noch ein Einglas in sein gutgenährtes Gesicht und sah sich um.
Der Leutnant, der das Lager kommandierte, blickte erstaunt zu den beiden russischen Offizieren, die das Abzeichen des MWD an der Mütze trugen.
Geheimdienst!
Der Leutnant wurde still und wagte nichts zu sagen. Wenn die Wölfe ins Lager kommen, ist der Mensch wehrlos …
Der deutsche Major nickte. »Lassen Sie uns sofort beginnen«, sagte er auf russisch. »Wenn wir noch in die anderen Lager wollen, müssen wir uns beeilen.«
»Holen Sie bitte die beiden SS-Ärzte, Genosse Leutnant«, sagte der eine Russe, ein starker, breiter Hauptmann mit stoppelbärtigem Gesicht und kahlgeschorenem Schädel. Der Leutnant verließ eilig die Stube.
Der deutsche Major nahm ein Aktenstück aus seiner Mappe und legte es auf den Tisch. Gespannt schaute er auf die Tür, hinter der jetzt Schritte zu hören waren. Mit Schnee bedeckt, in dicken, oft geflickten Mänteln und mit Lumpen umwickelten Schuhen traten die beiden SS-Ärzte ein. Sie stutzten einen Augenblick, als sie den geschniegelten Major sahen, und preßten die Lippen aufeinander. Der Major verbeugte sich kurz und korrekt.
»Passadowski. Wilhelm Passadowski.«
Die beiden SS-Ärzte sahen ihn verschlossen an. Sie musterten seine tadellose Uniform, sein gepflegtes Äußeres, seinen guten Ernährungszustand, seine Ehrenzeichen, unter ihnen das Erinnerungskreuz der ersten Weltkriegsteilnehmer.
»Was willst du von uns?« fragte einer der Ärzte kurz.
Major Passadowski zuckte zusammen. Das Du machte ihn etwas verwirrt. »Ich wollte die Herren vertraulich sprechen«, antwortete er.
»Die Herren!« Der Arzt lachte gequält. »Bist wohl kein Plenni, was? Kommst aus Moskau, von der Seydlitz-Gruppe, was? Kleine Werbung für die antifaschistische Bewegung, wie ihr sie nennt?«
Major Passadowski sah sich nach den beiden russischen Offizieren um. Man wußte nicht, ob sie Deutsch verstanden. Gleichgültig rauchten sie ihre Zigaretten und musterten die beiden SS-Ärzte.
»Es stimmt natürlich nicht, daß Sie, meine Herren, in Minsk Menschenversuche machten«, nahm der Major die Unterhaltung wieder auf. »Dies ist eine Verdächtigung …«
»Nein!« Der andere Arzt steckte
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