Der Arzt von Stalingrad
Trompete, als Peter Fischer mit dem Paket Schnellpudding in der Küche erschien. Er holte sich eine Schüssel und eine Kanne Wasser und stellte sie vor Pjatjal hin.
»Weißt du, was das ist?« fragte er und ließ Pjatjal und dann Bascha an der Tüte riechen. Pjatjal grinste dumm.
»Pudding!« meinte er. »Milch ist da! Und Zucker auch! Wollen wir ein Puddingchen machen, Genosse Plenni?«
»Ja.« Fischer nickte. »Aber ohne alles! Nur kaltes Wasser!«
»Brüderchen, du bist verrückt«, sagte Pjatjal gönnerhaft. »Das gibt es nicht …«
»Nicht in Rußland. Aber in Deutschland, Genosse! Das ist das Neueste! Paß einmal auf …«
Peter Fischer goß Wasser in die Schüssel. Dann schüttete er den Inhalt der Tüte hinein, nahm einen Quirl und verrührte das Pulver in dem Wasser.
Eiermanns Schnellpudding machte seinem Namen alle Ehre. Das Wasser wurde gelb, es wurde sämig, es wurde dick – und siehe da: der Pudding stand steif und goldgelb. Zur Bekräftigung schüttelte Fischer die Schüssel etwas und ließ den Pudding wackeln.
Michail Pjatjal riß die Augen auf. Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Pudding … er starrte Bascha an, die sprachlos und mit weitgeöffnetem Mund danebenstand … er tippte wieder auf Eiermanns Wunderpudding und schüttelte immer wieder den Kopf.
»Pudding!« sagte er erschüttert. »Richtiger Pudding! Kosten!«
Er stach sich etwas ab und aß es. Er schmatzte und sah Peter Fischer mit glänzenden Augen an. »Sehr gut, Brüderchen. Ein Pudding!« Er nahm die noch halbvolle Tüte hoch und roch an dem Pulver. »Was ist das?« fragte er.
»Pudding«, sagte Peter Fischer. »Deutscher Arbeiterpudding …«
»Was?«
»Deutscher Arbeiterpudding! Das kann sich bei uns in Deutschland jeder Arbeiter leisten! Das ist eine Volksspeise!« Er lächelte. »Wann hast du den letzten Pudding gegessen, Michail?«
»Vor vier Jahren …«, seufzte Pjatjal. »Und ich bin doch auch ein Arbeiter! Und mein Bruder auch! Der arbeitet in Stalingrad auf dem Bau. Der hat noch nie Pudding gegessen.«
»Er lebt ja auch nicht in Deutschland! Bei uns essen das alle! So ein Pudding kostet keine zwanzig Pfennig! Rund zehn Kopeken!«
»Du lügst!« schrie Pjatjal. »Zehn Kopeken?! Das ist ja geschenkt!«
»Für den Arbeiter wird in Deutschland alles getan … auch ohne Kommunismus! Sieh dir den Pudding an …«
»Gib her!« Pjatjal nahm eine andere Schüssel, schüttete Wasser hinein, schüttete das Pulver hinterher … rührte … der gleiche, geheimnisvolle Vorgang vollzog sich wieder vor seinen verblüfften Augen … das Wasser färbte sich, es wurde sämig, dick, erstarrte. Der Pudding wackelte goldgelb in der Schüssel. Ein köstlicher Pudding! Der deutsche Arbeiterpudding, wie Peter Fischer sagte. Es lebe Eiermann!
Michail Pjatjal nahm die Schüssel und stellte sie weg. »Ich werde es meinem Bruder zeigen«, sagte er schwach vor Erregung. »Und er wird es seinen Kollegen zeigen. Hast du noch mehr Tüten?«
»Noch drei Stück.«
»Gib sie mir, Brüderchen. Ich muß es allen Leuten zeigen! Zehn Kopeken für solch einen Pudding! Das ist unglaublich …«
An diesem Abend blies er keine Trompete mehr. Er aß mit Bascha den Schnellpudding und rollte sich dann satt und grunzend in sein Bett. Irgendwie war durch Eiermanns Schnellpudding eine Bresche in seine bolschewistische Lebensauffassung geschlagen worden, irgendwie begann er an dem System, dem er diente, Kritik zu üben. Denn nichts überzeugt einen Menschen mehr als das gute Essen der anderen. Und wenn es ein Pudding mit Wasser ist. Mit kaltem Wasser … das verklärte alles noch mehr und machte das deutsche Wunder noch wunderbarer …
Mit der Ausgabe dieser ersten Pakete begann auch im Lazarett ein anderes Leben. Da nur eine Minderzahl aus der Heimat Lebensmittel erhalten hatte, rief Dr. Böhler zur Spende für die Kranken und Verletzten auf. Er selbst stellte sein Paket vollständig zur Verfügung und verteilte den Inhalt in genau abgewogenen Mengen unter die Kranken und vor allem die schwachen und Unterernährten. Sein Aufruf, der nur aus einer kleinen Anregung bestand, die er zu Dr. Schultheiß sagte, fand im Lager sofort Gehör. Aus jeder Baracke liefen die Lebensmittel im Lazarett ein. Es häuften sich die Tüten Kakao, die Tafeln Schokolade, das weiße Mehl, die Marmeladebüchsen, die Keksdosen, die Fleischkonserven, die Kondensmilch, die Päckchen mit Tabak. Sogar sieben Pfeifen wurden gebracht und eine Kiste Zigarren.
Die Barackenältesten
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