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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einer Ecke herbei und baute sich vor ihr auf. Er knallte die Hacken zusammen und grüßte wie auf dem Kasernenhof.
    »Vier Mann erkrankt.«
    »Was fehlt ihnen?«
    »Dystrophie, Gelbsucht und Tbc-Verdacht!«
    »Das sind keine Krankheiten! Alles 'raus aus den Betten!« brüllte die Kasalinsskaja. »Sofort vor der Baracke antreten! Ich warte keine Minute …«
    Sie warf die Tür wieder hinter sich zu. Man hörte ihren Schritt über den Platz knirschen. Dr. Böhler, der noch immer an einem der Betten saß, winkte den Soldaten zu, die sich erheben wollten, und sprang selbst auf.
    »Liegenbleiben! Ich gehe für euch hinaus. Ihr seid krank!«
    Er ging durch den Raum, vorbei an dem vor Angst bebenden Sanitäter, und riß die Tür auf. Auf dem Platz, zehn Schritte von der Baracke entfernt, stand Dr. Kasalinsskaja, eine Uhr in der Hand. Ihre Lippen zählten lautlos die Sekunden. Nach einer Minute würde sie mit der Peitsche kommen …
    Dr. Böhler ging auf sie zu und blieb drei Schritte vor ihr stehen. Er knallte wie der Sanitäter die Hacken zusammen und hob die Hand zum Gruß.
    »Vier Kranke zur Stelle.«
    Die Kasalinsskaja sah auf. Sie steckte die Uhr weg, sah sich um.
    »Hier! Als ihr Arzt vertrete ich sie. Ich habe Bettruhe angeordnet …«
    Alexandra senkte den Blick. Sie drehte sich um und ging über den Platz davon. An der Waschbaracke heulte kurz darauf ein Motor auf, der Jeep schwenkte durch das große Tor und raste in einer Staubwolke durch die Waldschneise davon.
    In der Tür der Sanitätsbaracke stand der Sanitäter. Er sah dem Wagen nach und starrte dann auf Dr. Böhler, der zurückkam.
    »Sie ist weg«, stotterte er. »Sie ist wirklich weg …« Und plötzlich riß er die Hacken zusammen und stand da wie ein Bild aus der Dienstvorschrift für die Infanterie. »Die Spritze ist ausgekocht, Herr Stabsarzt«, rief er begeistert. »Darf ich Herrn Stabsarzt weiter behilflich sein …«
    Nach vier Tagen kam Major Worotilow zu einem kurzen Besuch ins Lager 12.
    Er traf Dr. Böhler an, wie er Atebrin injizierte.
    »Atebrin?« Worotilow sah erstaunt auf die aufgebrochene Ampulle, die neben dem Bett lag. »Wo haben Sie das denn her?«
    »Lag zufällig hier herum, amerikanisches Fabrikat. Übrigens ahnte ich, was ich hier antreffen würde. Aber was ich bis jetzt gesehen habe, übertrifft meine Vermutungen. Die Lage der Gefangenen ist kaum noch menschenwürdig zu nennen …«
    Major Worotilow setzte sich auf den Bettrand und betrachtete das eingefallene Gesicht des Kranken, der die Injektion erhielt.
    »Warum bist du hier?« fragte er barsch.
    »Ich habe gestohlen, Major.«
    »Was denn?«
    »200 Gramm Brot, Major. Aber ich hatte Hunger.«
    »Das haben die anderen auch!« Worotilow blickte zu Dr. Böhler hin, der die Spritze weglegte. »Haben Sie sich schon einmal die Mühe gemacht, zu fragen, warum diese Kerle im Lager 12 sind?«
    Dr. Böhler schüttelte den Kopf. »Nein. Warum sollte ich? Und selbst wenn es Raubmörder wären – was sie hier abzubüßen haben, ist eine grausame Strafe für jedes Verbrechen …«
    Worotilow lächelte mokant. »Sie haben schwache Nerven, Herr Doktor. Es gibt Schlimmeres. Kasymsskoje …«
    »Ich hörte davon, Major. Es ist eine Schande für Rußland.«
    »Und die Welt schweigt, weil wir stark sind.«
    »Sie schweigt nicht, sie wird euch anklagen …«
    »Auf dem Papier. Das hängen wir auf die Latrine der Tataren! Und Kasymsskoje besteht weiter … Wer will uns daran hindern? Amerika? England? Das angstzitternde Frankreich? Lieber Doktor – der Westen ist faul wie eine Birne, die zu lange liegt. Wir lassen es auf einen dritten Weltkrieg ankommen, auch gegen amerikanische Waffen! Der Westen läuft sich tot in der Weite Rußlands. Das Land saugt die Menschen auf wie der Sandboden das Wasser. Und Rußland wird weiterleben, denn Rußland wird einmal der Mittelpunkt der Welt sein. Der Traum Peters des Großen!«
    »Fangen Sie schon wieder an?« Dr. Böhler erhob sich und deckte den Kranken zu. Er ging in einen Nebenraum, wusch sich dort in einer Blechschüssel die Hände und ließ sie trocknen, indem er sie durch die warme Luft schwenkte. »Sie haben mich noch nicht so weich, um Ihnen recht zu geben …«
    »Es fehlen ja auch noch vier Tage«, lächelte Worotilow.
    »Es könnten 400 sein.« Dr. Böhler fuhr sich mit den feuchten Händen über die spärlichen Haare. »Ich gäbe Ihnen niemals recht.«
    »Aus Prinzip?«
    »Ja.«
    »Sie sind nicht objektiv …«
    »Sind Sie es, Major?« lächelte

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