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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er laut. »Ich lasse mein Lazarett nicht beleidigen … auch nicht von einer russischen Ärztin …«
    Alexandra sah ihn spöttisch an. »Ich nehme nichts zurück. Wenn Sie mich anzeigen wegen der Zustände im Lager 12, zeige ich Sie an, daß in Ihrem Lazarett gehurt wird …«
    »Wer?« schrie Dr. Böhler. »Wer, will ich wissen.«
    »Ihr Oberarzt …«
    »Sellnow?«
    »Ja! Ja!« Sie lachte wild und hysterisch. »Mit mir! Seit über einer Woche! Fast jede Nacht! Er ist ein Schwein und hat die Kraft eines Urtiers. Wenn er mich anfaßt und nimmt, könnte ich die Welt zerreißen. Wenn der Tag kommt, nehme ich mir meine Rache. Dann müssen alle büßen … hier im Lager 12, im Lager 14, 16 und 19. Jeder Kuß eine Gesundmeldung, jeder Seufzer in der Nacht ein freies Bett im Sanitätsrevier …«
    Dr. Böhler ließ sie los, seine Arme fielen schlaff am Körper herab. Mein Lazarett … seit über einer Woche … Sellnow … Es ist furchtbar. Wenn es Worotilow erfährt, Dr. Kresin, die Division in Stalingrad oder Moskau … Er schloß die Augen vor dem Entsetzen der nicht auszudenkenden Folgen und spürte nicht, wie die Kasalinsskaja ihn anstieß. Erst als sie ihm gegen das Schienbein trat, öffnete er die Augen.
    »Erledigt?« fragte sie. »Genügt das? Sie sehen so bleich aus, mein Bester.«
    Worotilow, dachte Dr. Böhler. Unsere Stärke ist die Grausamkeit, die Mißachtung des einzelnen für das Ziel des großen Interesses. Da schüttelte er den Kopf.
    »Zeigen Sie es an, Dr. Kasalinsskaja«, sagte er. »Sie werden mit vernichtet werden! Sie dulden ja die Besuche von Sellnow.«
    »Er hat mich vergewaltigt. Einfach gezwungen …«
    »Jede Nacht?«
    Alexandra lachte schrill. »Jede Nacht lasse ich mich bezwingen! Ich hasse den Morgen, wo es nicht geschah … Aber beweisen Sie es, Dr. Böhler! Ich werde sagen: Er zwingt mich mit brutaler Gewalt!« Dr. Kasalinsskaja scharrte mit den Spitzen ihrer hohen Juchtenstiefel in dem Staub des Lagerbodens. »Und man wird einer russischen Ärztin und alten Kommunistin bestimmt viel mehr glauben als 10.000 schmutzigen und verlausten deutschen Plennis zusammen …«
    »Da haben Sie recht.« Dr. Böhler wollte sich abwenden, aber Alexandra hielt ihn zurück.
    »Sie gehen zurück?«
    »Im Gegenteil, ich bleibe …«
    »Sie wollen den Märtyrer spielen!« schrie die Kasalinsskaja wild.
    »Nein – ich will nur ein Arzt sein – falls Sie verstehen, was das ist …«
    Mit einem Fluch drehte sich die Ärztin herum und stapfte in die Waschbaracke neben dem großen Tor. Dort traf sie auf den Feldwebel, der in der Sonne saß und sich lauste.
    »Mein Täubchen«, sagte er zu ihr. »Geh hinein zu Iljitsch Stefanow. Der Saukerl von Mongole hat bestimmt einen Tripper … er wimmert immer, wenn er pissen muß …«
    Alexandra Kasalinsskaja schlug ihm mit der flachen Hand in das sibirische Bauerngesicht. Es klatschte laut – aber keiner achtete darauf.
    Und der Feldwebel grinste. Lieber sie als der Major.
    Mein Gott, Mütterchen Rußland ist ein rauhes Mütterchen. Aber es hat Herz …
    Sein breites Gesicht verklärte sich, als er in einer Falte seiner schmutzigen Unterhose eine vollgesogene, dicke Laus entdeckte, die er zwischen den Daumennägeln zerquetschte.
    In der Sanitätsbaracke kochte der Sanitäter die Spritze aus. Das Erscheinen der Kasalinsskaja hatte einen höllischen Schock bei ihm bewirkt. Er kroch durch die Zimmer und ging Dr. Böhler aus dem Weg, der bei den Kranken saß und sie beruhigte.
    »Ihr bleibt liegen«, sagte er. »Ihr steht nicht auf und versteckt euch! Ihr seid krank, kränker, als ihr denkt. Ihr werdet in das Hauptlazarett kommen … in den nächsten Tagen.«
    »Das Weib wird uns mit der Peitsche aus dem Bett treiben«, sagte einer aus der Ecke des Raumes. »Sie hat es schon einmal getan.« Ein Zittern ließ seine Stimme beben. »Und als Strafe wegen Simulierens täglich 100 Gramm Brot weniger …«
    Die berühmten 100 Gramm, dachte Dr. Böhler. Baschas Schal, mit dem wir den Oberfähnrich nähten, kostete 700 Gramm Brot und 300 Rubel. Und wieder fiel ihm Major Worotilow ein. Nur die Gewalt bezwingt den Menschen …
    Die Tür wurde aufgerissen. Die biegsame Gestalt der Kasalinsskaja stand auf der Schwelle. Das hereinflutende Sonnenlicht umspielte ihre Locken und die schlanken, langen Beine in den Juchtenstiefeln. Sie waren staubig, wie mit Mehl überzogen. In der Hand hielt sie eine Reitgerte.
    »Wer ist hier krank?« schrie sie in den Raum.
    Der Sanitäter rannte aus

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