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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dr. Böhler.
    Worotilow schob die Unterlippe vor und krauste die Stirn. Sein dickes, fleischiges Gesicht mit den klugen Augen wirkte einen Augenblick verblüfft. Dann wandte er sich zum Gehen. Dr. Böhler ging neben ihm.
    »Im Lager geht alles gut. Dr. von Sellnow führt das Lazarett, Dr. Kresin hilft ihm. Ihr junger Unterarzt behandelt weiter Janina.«
    Dr. Böhler sah auf den staubigen Boden. Janina Salja und Dr. Schultheiß. Gebe Gott, das sich Schultheiß anders benimmt als Sellnow. Es wäre furchtbar, wenn Major Worotilow aus einem Traum erwachte. Es wäre das grauenhafte Ende des ganzen Lagers.
    »Und die Kasalinsskaja?« fragte Dr. Böhler vorsichtig.
    »Sie ist ziemlich zahm. Aber täglich hat sie Streit mit dem Oberarzt. Gestern hat sie ihm einen Stuhl aus dem Fenster nachgeworfen und einen unschuldigen Soldaten getroffen. Ihr Oberarzt hat ihr geantwortet, indem er den Geworfenen dick verband und schiente und ihr ins Zimmer schickte zwecks Krankschreibung.«
    »Und was tat sie?«
    »Sie schrieb den Unverletzten tatsächlich krank! Für eine Woche! Als Sellnow den Bescheid erhielt, nahm er Verband und Schiene weg und ließ den Mann laufen …«
    Worotilow lachte schallend, aber Dr. Böhler wurde ernst. Er treibt es auf die Spitze, dieser Sellnow. Einmal wird es zu einer Katastrophe kommen. Auch die Liebe der Kasalinsskaja wird einmal zerbrechen, wenn sie täglich getreten wird und widertritt. An dieser Haßliebe können wir alle zugrunde gehen.
    »Ist es möglich, Sellnow in ein anderes Lager versetzen zu lassen?« fragte er.
    »Warum das?!« Worotilow blieb stehen. Sein Staunen war echt. »Ist etwas mit ihm?«
    »Rein privater Natur. Er müßte dringend eine Luftveränderung haben! Wenn es nur für ein halbes Jahr ist …«
    »Versetzungen in andere Lagergruppen erfolgen nur von Moskau aus. Wenn ich Moskau aber darum bitte, müssen schwerwiegende Gründe vorliegen.«
    Dr. Böhler sah sinnend über die in der Sonne flimmernden Wälder. Ein Raupenschlepper rollte durch die Schneise. Er zog einige dicke Stämme zu einem Sammelplatz. Irgendwo sangen ein paar dünne Stimmen.
    »Können Sie sich sagen, daß unser Lazarett über Soll mit Ärzten versehen und Dr. von Sellnow für eine Zeit abkömmlich ist?«
    »Aber das stimmt doch gar nicht!«
    »Natürlich nicht. Aber ich hätte ihn gern einige Zeit von Lager 5110/47 entfernt …«
    Major Worotilow schüttelte den Kopf. »Hatten Sie eine Auseinandersetzung mit Sellnow?«
    »Nein. Durchaus nicht. Wir verstehen uns gut. Rein private Gründe zwingen mich aber leider dazu, den Oberarzt – sagen wir – zu isolieren. Er hat in der letzten Zeit etwas die Nerven verloren und ist dabei, sie völlig zu verlieren – und seinen Kopf dazu.«
    »Das verstehe ich nicht, Doktor.«
    Dr. Böhler nickte gedankenvoll. »Ich verstand es erst auch nicht. Aber nachher war das Verstehen um so bitterer für mich. Ich achte Sellnow als guten Arzt und vorbildlichen Kameraden. Aber« – Dr. Böhler lächelte Worotilow ein wenig gequält an – »Ihr Rußland war auch bei ihm stärker!«
    »So?« Worotilow drang nicht weiter in Dr. Böhler. Rußland war stärker, grübelte er, als er neben dem Arzt zu seinem Wagen ging. Was kann er damit meinen? Ich werde Sellnow selber fragen … Über die Schneise kamen vier Männer. In einer Zeltplane trugen sie einen Verwundeten. Worotilow wies mit dem Kinn zu ihnen hin.
    »Ihr Geschäft blüht, Doktor.«
    »Und ich habe kaum Verbände, keine Wundsalbe, keinen Äther, kein Karbol, kein Pflaster, ich habe hier überhaupt nichts.«
    »Für die Ausstattung der Außenlager ist Dr. Kasalinsskaja zuständig.« Worotilow nickte. »Ich werde es ihr sagen.«
    »Sagen Sie ihr, bitte, daß ich bis morgen mittag eine behelfsmäßige Verband-Ausrüstung brauche, einige Reagenzgläser, drei Injektionsspritzen und vor allem Narkotika!« Dr. Böhler sah Worotilow an. In seinen Augen lag die Dringlichkeit seiner Bitte. »Wenn Dr. Kasalinsskaja diese Sachen nicht schickt, ist es – sagen Sie ihr das, bitte –, ist es glatter Mord an diesen Menschen hier!«
    »Ich will es versuchen.« Worotilow hob ein Bein in den Jeep. »Ich bin eigentlich viel zu höflich zu Ihnen«, bemerkte er ernst. »Warum, weiß ich nicht. Sie sind ein Gefangener, ein Deutscher, mein Feind! Ich sollte sie behandeln wie ein Stück Dreck … Statt dessen behandle ich Sie wie einen Kameraden. Vielleicht wird man mir das einmal höheren Orts übelnehmen.«
    »Dann wären ja auch Sie ein Opfer der

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