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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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drehte sie sich brüsk um und riß die Tür auf. Mit langen Schritten eilte sie davon. Sellnow rief ihr nach: »Bitte das nächste Mal die Tür schließen!«
    Er hörte, wie die Kasalinsskaja am Ende des Ganges vor Wut mit der Faust an die Mauer trommelte …
    Nach dem Mittagessen in der Stolowaja, dem großen Eßsaal der Fabrik, ging er zurück, in sein Zimmer. Dort lehnte die Kasalinsskaja an der Wand und wartete. Ihre schwarzen Augen waren verschleiert. Stumm standen sie sich gegenüber. Dann warf sie die Arme um seinen Hals, zerwühlte seine Haare und krallte sich in seinem Nacken fest. Wie eine Trunkene suchte sie immer wieder seine Lippen und stöhnte unter seinen Liebkosungen. »Du …«, flüsterte sie. »Du Wolf! Du Tiger …«
    Schwer atmend saß sie dann auf seinem Bett und ordnete Haare und Kleidung. Er sah ihr zu, wie sie das Bein weit ausstreckte und den Strumpf befestigte. Ihre langen Schenkel leuchteten matt in dem grellen Licht. In ihren Augen lag unverhülltes Glück, eine wundervolle Seligkeit und Erlösung.
    »Wann mußt du wieder fort?« fragte er leise.
    »Wenn du willst … nie!«
    »Du kannst bei mir bleiben?« stieß er glücklich hervor.
    »Vierzehn Tage, Werner …«
    »Vierzehn Ewigkeiten …«
    Sie sprang auf und warf die Arme um ihn. Ihr Gesicht strich wie eine schmeichelnde Katze über seine Wange.
    »Mein süßer, kleiner Plenni …«, flüsterte sie. Er drückte seine Finger in ihr Fleisch, daß sie aufschrie.
    »Ich will das nicht hören«, sagte er heiser. »Ich will in deiner Nähe kein Plenni sein. Ich will frei sein in deinen Armen – frei wie ein Adler in der Luft …«
    »Ich werde ihn herunterschießen und sein Herz essen!« flüsterte sie heiß. »Sein Herz aus der warmen, blutenden Brust!« Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände und küßte sein Gesicht, ihre Zähne nagten an seiner Haut. »Ich möchte ein Vampir sein«, stammelte sie, »ich möchte dir das Blut aussaugen …«
    »Du bist eine asiatische Katze«, sagte er und entzog sich ihren Händen.
    Umschlungen standen sie an dem kleinen Fenster, das hinausführte auf den Fabrikhof. Am Ende des Platzes war wieder der hohe Stacheldraht. Auf der breiten Mauer patrouillierte ein russischer Posten in einem langen, dicken Mantel. Die riesigen Schornsteine qualmten.
    »Immer Stacheldraht«, sagte Sellnow. Seine Stimme war dunkel vor Kummer. »Er wird immer zwischen uns sein …«
    »Einmal wird es vorbei sein. Man hat schon Tausende entlassen, Werner.«
    Sellnow schloß die Augen, um ihrem Blick auszuweichen. »Und dann?« fragte er.
    »Dann werden wir immer Zusammensein … ein ganzes Leben lang!«
    »In Rußland?«
    »Oder in Deutschland. Ich werde überall mitgehen, wohin du gehst …«
    Er drückte ihren Kopf an sich und streichelte ihren Rücken. Über sie hinweg blickte er auf den Draht und den Posten, auf die deutschen Gefangenen, die unten im Hof den Schnee schaufelten, und auf den jungen Leutnant, der gerade aus der Wachstube trat und seine Tellermütze auf den kahlen Schädel drückte.
    In Deutschland warteten Luise und zwei Kinder auf ihn. Eine schlanke, blonde, kühle, vornehme Frau, die Tochter eines Justizrates, gewöhnt, ein großes Haus zu führen, zu repräsentieren und zu glänzen durch ihre gläserne Schönheit. Sie hatte ihn, den jungen Assistenzarzt, aus Liebe geheiratet, sie hatte die ersten, schweren Jahre tapfer durchgestanden und den Aufbau der Praxis unterstützt, sie hatte sogar den weißen Kittel angezogen und ihm assistiert, um die Arzthilfe zu sparen. Dann war sie wieder die Tochter des reichen Vaters – sie gab Gesellschaften und trug den Namen ihres Mannes wie eine Standarte vor sich her. Als er sie das letzte Mal besuchte, bevor er nach Stalingrad geflogen wurde, um Dr. Böhler zu unterstützen, hatte sie beim Abschied nicht geweint, sondern ihn stumm umarmt. Erst draußen, bevor er in den Wagen stieg, sagte sie: »Was auch kommt, Werner … ich warte auf dich!«
    Ich warte auf dich …
    Sellnow sah auf den wilden, schwarzen Lockenkopf in seinen Armen. Ihre Hände lagen auf seiner Schulter, weiß, schlank, lang. Er fühlte den zärtlichen Druck ihres Körpers durch den Stoff.
    Ich werde überall mitgehen, wohin du gehst …
    Ich warte auf dich …
    Ich werde überall mitgehen …
    Die Angst vor dem Morgen schlug über ihm zusammen. Luise und Alexandra … Er ahnte die Einsamkeit, die ihn erwartete.
    »Du bist nicht mehr krank?« fragte sie und streichelte sein Gesicht. »Aber blaß bist du,

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