Der Atem der Welt
und wenigstens ein neues besorgen. Deswegen wollte er zurück nach Surabaya, aber der Kapitän erklärte, das liege schon zu weit hinter ihnen und sie würden auf direktem Weg nach Pulau Lomblen segeln. Dort hoffte Dan Rymer ja den Waljäger aus Lamalera zu finden, der jenes Tierwesen aus einem Wald hatte kommen sehen, jenen Mann, von dem sein Freund aus Surabaya erzählt hatte. Comeragh war auch dafür, zurückzufahren, aber Dan Rymer hatte gemeint, wir könnten auch in Pulau Lomblen ein Boot bekommen.
Das konnten wir allerdings nicht. Es gab tatsächlich Boote in Pulau Lomblem, aber nicht für uns. Doch das wussten wir da noch nicht, also segelten wir weiter und kamen drei Tage zu spät in Pulau Lomblen an.
7
Oh Herr, bitte sag Billy Stock, er soll aufhören, den Kleinen Angst einzujagen –
In meinem Kopf, beim Erwachen, die Stimme jenes alten schwarzen Mannes, Sam. Sam Proffit. Aus der Tiefe der Zeit zurückgekehrt, ganz plötzlich, real, ein Zucken des Hirns, Zeit, die vorüberfliegt, ein kurzer Reflex – so deutlich in meinem Kopf, als stünde er hier im Zimmer. Genauso wie er, die Hände zum Gebet gefaltet, im niedrigen Logis stand – damals –, aber damals ist jetzt –, die Augen geschlossen, ein leichtes, verschmitztes Lächeln um die welken Lippen. Ein frommer alter Mann, von flackerndem Licht überrieselt, grau gesprenkelt und getüpfelt die Wände. Ach, welche Schönheit –
Es war dunkel, und ich trieb auf irgendetwas, es hätte das Meer sein können, aber auch eine andere Art Wellen, hätte alles sein können. Schwere schwarze Wellen aus Schlaf, die mich trugen. Zuerst dachte ich, es sei die Drago , unsere alte Drago , und dass ich faul auf den trockenen Planken lag und das Schiff themseabwärts segelte, hin zum Meer.
Aber sie ist schon vor langer Zeit zerborsten, die Drago . Jetzt lebe ich hier. Eine Stimme hat mich wieder geweckt, zusammen mit den Stimmen der Straße. Irgendwo ganz in der Nähe singt jemand sehr hell, vielleicht in der Gasse zwischen Ratcliffe Highway und Pennington Street, so trunken schön wie ein gefallener Engel. Wo ist sie, die Sängerin, Sirene hoch auf der Klippe, die ihre silberne Stimme scharf wie ein Messer ins undurchdringliche Schwarz schleudert? Hier lebe ich jetzt, und es tut mir gut. Es gibt verrußte Dächer, über die ich hinwegschauen kann, und darüber einen herrlichen nördlichen Himmel, der
niemals brennt. Ich habe diese Dächer sehr gern, so gern, dass ich manchmal spüre, wie meine Augen feucht werden. London – wie habe ich von dir geträumt an den heißen Orten! Blumen und Früchte und Wein, Bäume so hoch, schmale braune Knaben, die nach Perlen tauchten, riesige anrollende Wellen und Affen, langgliedrig und schmalgesichtig, in den Bäumen, mit finsteren Augen die großen, mit sanften, verängstigten die Babys, die sich an sie klammerten. Blaues Licht, das am Horizont niedersank. Die Farbe vom Rand der Welt ist . . .
. . . Indigo
es funkelt . . .
Ich segle wie Sindbad auf fremden östlichen Meeren, ein großer Stern fällt vom dunklen Himmel, und irgendwo in der Nähe singen die Sirenen, und hier ist Sam Proffit und fleht:
Oh Herr, bitte sag Billy Stock, er soll aufhören, den Kleinen Angst einzujagen –
Das löste Gekicher aus, weil Billy genauso alt war wie ich, und wir waren fast die Jüngsten. Nur Felix war noch jünger als wir beide. Billy steckte voller grausiger Geschichten über Kannibalen, die Menschen bei lebendigem Leibe das Gehirn aussaugen.
Sam steht im niedrigen Logis, ein dunkel-scheckiger Mann, ein großer Kirchenliedsinger und Gebeterezitator. Und heute haben wir unsere Gebete nötig. Morgen landen wir auf dieser neuen Insel. Sie ist es, das spüren wir alle. Es hat etwas mit den beiden Malaien zu tun, die Dan auf Sumba aufgelesen hat, wo wir Gongs schlagen hörten und über den Bäumen Rauch von einem rituellen Scheiterhaufen aufsteigen sahen. Wir gingen in ein Dorf und tranken ein bitteres Getränk und warteten darauf, dass Dan von seinen Nachforschungen zurückkehrte, und er kam mit roten Zähnen und zwei freundlichen, stummen Männern zurück, von denen der eine lächelte, der andere nicht. Der Lächelnde trug blaue Tätowierungen auf der Stirn. Sie schla
fen mit uns im Logis, aber wir haben keine gemeinsame Sprache. Sie verhalten sich ernst, seit wir die letzte Insel hinter uns gelassen haben, die neunte oder zehnte, ich weiß es nicht. Die Inseln sind wild. So wie ich sie mir immer gewünscht habe,
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