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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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durchkommen. Waren wir bisher doch immer.
    »Was nun?«, sagte Dan. »Tja, wie der Kapitän schon sagte, Jaff, wir halten zusammen. Reisen mit dem Wind. Brot genug, Wasser genug – wenn wir sparsam sind – für mindestens sechzig Tage. Ich schätze, wir treffen lange vorher einen anderen Walfänger, gar nicht zu vermeiden in dieser Gegend. Und sollte das wider Erwarten nicht passieren, machen wir uns auf nach Südamerika. Keine Frage. Sind doch zähe kleine Dinger, diese Boote.«
    Was mir nicht gefiel, war die Art, wie Mr Rainey ihn anblickte. Als wüsste er, dass das nicht stimmte.
    »Erzähl keinen Schwachsinn, Dan«, sagte Tim. »Wir sind nicht blöd.«
    »Das ist kein Schwachsinn, Tim«, sagte Dan und sah ihn finster an. »Du weißt nicht, wovon du redest, aber ich. Bleib einfach ruhig und tu, was dir gesagt wird, und wir kommen alle nach Hause.«
    Das Boot vom Kapitän setzte sich neben uns, und wir zündeten die Windlichter an. Wir erhielten jeder unsere Ration. Ich blickte hinüber und stellte mir vor, ich wäre im anderen Boot, und war froh, in diesem zu sein. Es war sicherer. Dan und Gabriel und Yan kannten sich aus. Zum Boot vom Kapitän gehörte Skip mit seinem weißen Mondgesicht, das ausdruckslos wie eine flache Scheibe war.
    »Ihr werdet ab jetzt hungrig sein, Jungs«, sagte Dan, »gewöhnt euch dran.«
    Ein Stück hartes Brot und zwei Schluck Wasser. Die Schweine bekamen auch einen Schluck. Wir mussten sie am Leben erhalten. Kein Tabak. Kein Alkohol. Oh Gott, gib mir etwas zu rauchen und schön langsam brennenden Rum. Rainey schwitzte, weil ihm beides fehlte. Seine Hände zitterten, und seine Augen beklagten sich. Er sah aus wie jemand, der seekrank war und es zu ignorieren versuchte. Und genauso fühlte sich die ganze Welt an. Blöde und stumm, wir allesamt, bis Skip auf den Zwiebackbrocken in seinen Händen blickte und mit entsetzter Stimme sagte: »Es war alles meine Schuld.«
    »Idiot«, sagte John Copper, »war nämlich nicht deine Schuld.«
    »Ich bin's«, wimmerte Skip, »ich war schrecklich.« Ihm lief die Nase.
    »Ich hab Mr Comeragh getötet. Ich mochte Mr Comeragh. Ich hab sie alle getötet!«
    »Es reicht!«, bellte der Kapitän.
    Skip senkte den Kopf und mümmelte unglücklich an seinem Zwieback.
    »Billy dachte das aber«, sagte er etwas später.
    »Dachte was?«, fragte Dag.
    »Dass es meine Schuld ist.«
    »Gut, aber Billy konnte doch seinen Arsch nicht von seinem Ellbogen unterscheiden«, sagte Tim.
    »Es reicht!«
    Da hüpften wir nebeneinander auf den glitzernden Kämmen der rauen Wellen und kauten wie Kühe. Es wehte ein frischer Wind. Das Mahlen meiner Kiefer dröhnte mir im Kopf, knack-knack machten die Knochen. Unser Schwein, das mit einer gewissen stumpfsinnigen Geduld festgebunden zwischen Gabriel und Yan steckte, war ein haariges altes Biest mit einem runden
Bauch. Ich starrte es an und wünschte, ich wäre ein Tier, das nichts weiß und auch nicht in die Zukunft denken kann.
    »Bill, der war doch ein kleiner Lümmel mit einer großen Klappe«, sagte Tim zu niemandem im Besonderen.
    »Stimmt«, sagte ich nach einer Weile, »das war er wirklich.«
    Irgendwann in der zerzausten Morgendämmerung krochen wir einer nach dem anderen gähnend und stöhnend aus dem Bootsbauch. Völlig durchnässt. Der Wind hatte die ganze Nacht geblasen. Das Schwein hatte geschissen. Wir kriegten unseren Zwieback und einen Tropfen Wasser und segelten weiter, und Gott sei Dank waren diese Boote nicht leicht zu segeln, so hielten sie uns wenigstens auf Trab. Besser etwas tun als müßig herumsitzen. Jemand musste ans Ruder. Jemand musste Wache schieben. Wir waren überladen und lagen tief im Wasser, und die ganze Zeit schwappte das Meer herein. Wir versuchten, Fische zu fangen, hatten aber keine Angelruten, keinen Köder, kein Netz, keinen Speer. Aber wir hatten Holz vom Schiff. Gabriel machte sich daran, einen Speer zu schnitzen.
    Stechender Durst und Hunger meldeten sich und blieben. Die Welt kann sich teilen, sich verdoppeln, so wie wenn man doppelt sieht. Ich kann das auch. Also: Hier bin ich, Jaff, sage allerdings kein Wort und blicke leer, wie verschleiert, schicke stumme Schreie zum Himmel, zum trüben grauen Meer, zu den schwer beladenen Wolkenfetzen, den Wellen, den großen Augen meiner verrückt-verstummten Freunde. Und dort sind Heim und Herd und Fluss und Stadt und Ish und Mama, weit weg, abhandengekommen. Ein Pochen in meiner Kehle und Schmodder in meinen Ohren sagen mir, dass ich hier

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