Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
herauszufordern und dazu zu zwingen, gegen Einsamkeit und Entbehrungen zu bestehen. Die Briten hingegen bewohnen eine Gruppe kleiner, überfüllter Inseln, weshalb ihre Einstellung gegenüber dem Meer eine ganz andere ist, denn wenn die diese Inseln umgebenden Gewässer auch weitläufig, kalt und gefährlich sein mögen, sind sie doch zugleich für einen Romantiker, von Bergesgipfeln abgesehen, die einzige Region, in die er sich vor den Pflichten und Sorgen, die ihn an Land belasten, flüchten kann. Das Meer hat also für die Briten den Nimbus des Wertvollen und Einzigartigen, den Status eines Refugiums. Den Amerikanern hingegen mag die See gedanklich viel ferner und fremder sein, doch sie stellt von ihrer Größe her ein gewisses Äquivalent zu ihrem Kontinent, ihrem Land dar, und man bringt ihr daher ein größeres Maß an Verständnis entgegen, begreift sie besser und akzeptiert sie viel selbstverständlicher.
Demzufolge empfindet ein Brite es häufig als eine äußerst mutige Tat, sich aufs Meer hinauszuwagen, und er kommt von dieser Fahrt mit einer gewichtigen Erzählung zurück. Wenn hingegen ein Richard Henry Dana oder ein Joshua Slocum von New York in die Ödnis des Sargassomeers oder in die einander kreuzenden Strömungen vor Kap Hoorn segelt, dann empfindet er dabei die gleiche Faszination und nimmt alles mit dem gleichen naiven Erstaunen in sich auf, wie er es bei einem Vorstoß in die unwirtlichen Regionen Süddakotas oder die Wüsten des Death Valley getan hätte. Er schaltet sich weniger oft als Erzähler in seinen Text ein: Die See steht im Vordergrund, und er befasst sich auf direktere Weise mit ihr, stellt sie auf unmittelbarere Weise dar.
Joshua Slocum ist einer meiner Helden. Ich habe schon lange eine Verbindung zu ihm gefühlt: Meinen ersten amerikanischen Sommer verbrachte ich in einer Hütte an der Bay of Fundy in Nova Scotia, und in jener Region war der gebürtige Neuschotte Slocum ein Lokalheld, wenn er auch den größten Teil seines späteren Lebens auf See oder in Massachusetts verbrachte. Im Küstenort Fairhaven in Massachusetts – gegenüber der alten Walfängerstadt New Bedford auf der anderen Seite des Acushnet River gelegen – zimmerte Slocum 1892 eine heruntergekommene sechsunddreißig Fuß lange Schaluppe, die Spray , so lange wieder zusammen, bis die nüchternen, nicht zu solchen Bekundungen neigenden Walfänger sie wie ein Mann für »1 A« erklärten und voraussagten, sie sei wieder so gut in Schuss, mit Planken aus Weißeiche und Georgiakiefer und einem Mast aus New-Hampshire-Rottanne, dass sie sogar »durch Eis hindurchpflügen« könne.
Sie schwamm »wie ein Schwan« an der Ankerkette, berichtete Slocum, nachdem er sie zum ersten Mal zu Wasser gelassen hatte – und mit diesem heiß geliebten Boot machte er sich ganz allein zu einer Weltumsegelung auf. Er schrieb ein Buch über sein Abenteuer, Sailing Alone Around the World , das vielleicht das schönste Werk der modernen maritimen Literatur ist. Slocums Stil ist von einer lakonischen Ruhe, die beinahe hypnotisch wirkt, wenn er über seine einsame Fahrt berichtet:
»Am 4. Juli 6 Uhr vormittags steckte ich zwei Reffs ein, und um 8.30 vormittags schüttete ich wieder alle Reffs aus. Um 9.40 nachmittags machte ich einen Schimmer des Feuers an der westlichen Ecke von Sable Island aus, das man auch die Insel der Unglücke nennen könnte. Der Nebel, der bis zu diesem Augenblicke ferngeblieben war, senkte sich jetzt über die See wie ein Leichentuch. Ich war in einer nebelhaften Welt, ausgeschlossen vom All. Ich sah überhaupt kein Licht mehr. Durch das Lot, das ich oft auswarf, fand ich, daß kurz nach Mitternacht die Ostecke der Insel hinter mir lag, ich also bald den Gefahren des Landes und der Sandbänke entronnen war. Der Wind raumte weiter, obwohl er aus der nebligen Ecke stand, Südsüdwest. Man sagte, dass Sable Island innerhalb weniger Jahre von 65 Kilometern Länge bis auf 36 verkleinert worden ist und daß von den drei Leuchttürmen, die bis 1888 erbaut wurden, zwei weggeschwemmt wurden und der dritte auch bald von der See verschlungen sein wird.
Am Abend des 5. Juli setzte es sich die Spray , nachdem sie den ganzen Tag über eine unruhige See gesteuert worden war, in den Kopf, auf die Hilfe des Rudergängers zu verzichten. Ich hatte Südost zu Süd gesteuert, aber da der Wind etwas schrallte, fiel sie in ruhigeres Wasser, Kurs Südost, und tat nur ihr Bestes mit acht Knoten. Ich setzte alle Segel, um möglichst rasch
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