Der Attentaeter von Brooklyn
dem Straßennetz entlang der Küste. Durch den Lärm des Zugs schrie ein alter Vietnamese in sein Handy. Die Räder dröhnten wie das langsame Schlagen einer gigantischen stählernen Kesselpauke, bis der Zug wieder über Land fuhr, auf ein anderes Gleis wechselte und schneller wurde. »Das ist eine unnatürliche Form des Reisens«, flüsterte Omar Jussuf.
»Zwischen Manhattan und Brooklyn verkehrt täglich eine Karawane, falls dir das lieber sein sollte.« Chamis Sejdan grinste süffisant. »Nächstes Mal mieten wir uns ein Kamel und schließen uns an.«
Omar Jussuf schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er seinem gereizten Freund Nikotinkaugummi kaufen sollte. »Vielleicht hättest du dir heute nicht freinehmen sollen. Es wäre mir lieber, wenn statt meiner der Präsident mit deiner miesen Laune klarkommen müsste.«
»Mein Bruder, hinsichtlich seines Besuchs habe ich ein ungutes Gefühl. Irgendeine unvorhersehbare Gefahr.«
»Bei der UN gibt es doch bestimmt jede Menge Sicherheitskräfte.«
»Amerika war mal der allerletzte Ort, an dem man irgendwelche Anschläge befürchtet hätte.« Chamis Sejdan rieb sich mit den Knöcheln seiner Handprothese die scharfe Kante seiner Vorderzähne. »Heute nicht mehr.«
»Möge Allah es missfallen.«
»Es macht mich nervös, in einer U-Bahn festzusitzen, wenn vielleicht im gleichen Moment jemand einen Anschlag auf meinen Chef plant.«
Auch Omar Jussuf wäre lieber woanders gewesen. Er fragte sich, welche Lügen Abdel Hadi den anderen Delegierten der UN-Konferenz über ihn in seiner Abwesenheit erzählen würde. Er musste Alas Probleme lösen und zur UN zurückkehren, bevor gegen ihn Intrigen gesponnen werden konnten. Er hatte sich erst wenige Gedanken über die Rede gemacht, die er halten sollte, aber jetzt schien ihm fast gar keine Zeit mehr zur Vorbereitung zu bleiben. Seine Nervosität erbitterte ihn. »Möge Allah diesen Zug verfluchen«, sagte er. »Ich fühle mich eingesperrt wie ein Gefesselter in einer Skorpiongrube.«
Sie stiegen an der Atlantic Avenue aus und kamen an einer großen Kreuzung, auf der der Verkehr aus fünf Richtungen zusammenlief, ans Tageslicht. Omar Jussuf hielt sich die Ohren zu, als die Ampeln umsprangen und ein Konvoi glänzender SUVs vorbeidonnerte.
Chamis Sejdan steckte sich eine Zigarette an und hob den Kopf zum Himmel, der sich grau verdunkelte. »Es wird regnen«, sagte er. Er zog eine Tweedmütze aus der Tasche seines Trenchcoats und drückte sie sich auf seine kurzen, weißen Haare. »Du bist ja nicht gerade passend angezogen für dieses Wetter, nicht wahr?«
Omar Jussuf ging auf einen älteren Araber zu, der auf seinen Stock gestützt vor der Ampel wartete. Seine rot-weiß gestreifte Keffija hatte er unterm Kinn zusammengebunden. »Friede sei mit Ihnen«, sagte er.
»Und mit Ihnen Frieden«, antwortete der Mann.
»In welcher Richtung liegt das Untersuchungsgefängnis?«
Der alte Araber musterte Omar Jussuf von oben bis unten. Er fragt sich, wen ich wohl im Gefängnis besuche, dachte Omar Jussuf. Er ist misstrauisch wegen meiner kriminellen Kontakte.
»Das ist noch ein weiter Weg«, sagte der Araber und deutete mit dem Stock voraus. »In dieser Richtung. Sechs Blocks.«
»Danke.«
»Das sind aber große Blocks. Atlantic Avenue ist eine lange Straße.«
Er sieht mich gar nicht wegen meiner kriminellen Verbindungen so zweifelnd an, sondern wegen meiner Hinfälligkeit . »Das schaffen wir schon, mein Herr.«
Der alte Mann lachte, hustete und spuckte aus. »Sie wohnen wohl nicht in New York, was? Sie haben gedacht, weil Sie zu einer Adresse an der Atlantic Avenue wollen, steigen Sie einfach an der U-Bahn-Station gleichen Namens aus. Sie sehen zwar nicht wie Bauern aus, aber manchmal kann man die richtigen Landeier auch nicht auf den ersten Blick erkennen. Sie hätten von vorneherein eine andere U-Bahn-Linie nehmen müssen, dann wären Sie viel näher am Gefängnis herausgekommen. Jedenfalls sollten Sie jetzt einen Bus nehmen.«
Omar Jussuf ärgerte sich über den alten Mann, weil er ihn auf seinen Fehler aufmerksam machte. »Ich glaube, wir gehen zu Fuß.«
Der Mann sah Omar Jussuf zweifelnd an. »Wenn Ihnen schon der lange Weg nicht zu anstrengend sein sollte, werden Sie aber bestimmt erfrieren. Sie sollten einen Hut tragen. Das ist hier nicht die Naqabwüste, wissen Sie.«
»Hab ich’s dir nicht gesagt?«, sagte Chamis Sejdan und klopfte sich auf die warme Mütze auf seinem Kopf.
»Dann kauf ich mir eben einen Hut«,
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