Der Attentaeter von Brooklyn
wenn er amnestiert worden war?«
»Vielleicht hatte er keine andere Wahl. Bei den örtlichen schweren Jungs könnte er auf der falschen Seite gestanden haben.«
»Gangster?«
»Vielleicht noch schlimmer. Hisbollah, Islamischer Dschihad. Vielleicht ist er hierhergekommen, um ihnen auszuweichen.«
»Dann hätte er auf den Einwanderungsfragebögen wegen seiner Drogenvorstrafe lügen müssen. Sonst hätten die Amerikaner ihm ein Visum verweigert – Amnestie hin oder her.« Omar Jussuf überquerte die Straße und hielt sich dicht an den Häusern, wo die Ladenmarkisen Schutz vor dem leichten Schneeregen boten. »Falls Nisar etwas über diese falschen Angaben herausgefunden hat, hätte auch Marwan ihn umbringen können, um sich vor Erpressung zu schützen.«
»Wenn Marwan Nisar ermordet hat, hätte er das genauso gut tun können, um den guten Ruf seiner Tochter zu schützen«, sagte Chamis Sejdan. »Es wäre genau das gewesen, was der Bursche hätte machen können, um sie nicht offen als Hure beschimpfen zu müssen.«
»Nur weil sie ihrem Herzen gefolgt ist.« Omar Jussuf schüttelte den Kopf. Er fragte sich, wen er eher bedauern sollte: das Mädchen, das den Mann, den es liebte, verloren hatte, oder den Jungen, der sie zu schützen versuchte, obwohl sie ihn abgewiesen hatte. »Armer Ala.«
Ein Polizeistreifenwagen glitt langsam die leere Straße entlang, durchpflügte die Schneeregenbäche. Chamis Sejdan deutete auf das Polizeilogo auf Omar Jussufs Strickmütze und reckte den Daumen hoch. Der Polizist auf dem Beifahrersitz tippte an seinen Mützenschirm, und der Wagen fuhr weiter.
Kapitel
12
Der junge Mann, der ihnen mit irakischem Dialekt den Weg zum Bezirksrevier der Polizei wies, warnte sie, dass es bis dahin noch zehn Blocks seien. Omar Jussuf starrte durch den Regen und ballte die Fäuste. Er machte sich große Sorgen über die Haftbedingungen für einen Araber im Untersuchungsgefängnis von Brooklyn, und jede Verzögerung bei der Weitergabe der Information zu Alas Alibi hielt seinen Sohn dort nur noch länger fest. Allein schon die schiere Ausdehnung der Stadt frustrierte ihn, dazu der Regen, der seiner unangemessenen Bekleidung spottete, und das Justizsystem sperrte seinen unschuldigen Sohn ein.
»Das ist aber ein weiter Weg, Ustas «, sagte der junge Mann und musterte Omar Jussuf von Kopf bis Fuß.
»Glauben Sie etwa, dass ich für so eine lange Strecke nicht fit genug bin?« Omar Jussuf reckte das Kinn vor und legte Aggressivität in seine Stimme. Der Iraker zuckte zusammen. All die Sachen, um die ich mich kümmern muss, machen mich sauer , dachte Omar Jussuf, und dieser Junge kriegt das jetzt alles ab . Er wandte sich an Chamis Sejdan. »Ich muss heute wohl besonders hinfällig aussehen. Niemand glaubt, dass ich es bis zu meinem Ziel schaffe.«
»Reg dich ab«, sagte Chamis Sejdan.
»Warum sollte ich mich abregen?« Omar Jussuf stieß mit der Hand gegen Chamis Sejdans Schulter. »Bin ich denn der Einzige, der meinen Sohn aus dem Knast holen will?«
»Mach dich nicht lächerlich. Das Wetter hat dir wohl das Hirn eingefroren. Du brauchst einen vernünftigen Mantel, damit dir warm wird und du klar denken kannst.«
»Allah verfluche diesen Regen.« Omar Jussuf stapfte durch eine Pfütze. Das kalte Wasser durchnässte seine Halbschuhe und ließ seine Füße eiskalt werden.
Der junge Iraker strich sich durch den schmalen Schnurrbart und wischte die Regentropfen ab, die sich da gesammelt hatten. »Ich meinte nicht Ihre Gesundheit, Onkel. Nur dass das Wetter so schlecht ist. Sie sollten vielleicht einen Bus nehmen.«
»Wenn ich an der Bushaltestelle warte, erfriere ich.«
»Die Busse fahren häufig. Sie müssen nicht lange warten. Aber wenn Sie unbedingt wollen, gehen Sie die Avenue einfach immer geradeaus. Sie erreichen dann eine Hochstraße auf großen Betonpfeilern. Wenn Sie der Parallelstraße folgen, kommen Sie zum Bezirksamt. Möge Allah Ihnen beistehen.«
»Möge Allah Sie in einen Affen verwandeln.«
Chamis Sejdan kicherte über den kranken Humor seines Freundes und gab dem jungen Mann einen tröstlichen Klaps auf die Schulter. »Bitte Allah um Vergebung«, sagte er zu Omar Jussuf.
Während er die Straße entlangstolperte, schämte sich Omar Jussuf dafür, den jungen Mann so angeblafft zu haben. Je länger er sich in dieser fremden Stadt aufhielt, desto mehr entfernte er sich von Verhaltensweisen, die er normalerweise von sich selbst erwartete. Sämtliche Umstände schienen sich gegen ihn
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