Der Attentaeter von Brooklyn
Elend, und mit politischen Parolen, die Omar Jussuf in ihrer Gespreiztheit und Sentimentalität ermüdeten. Er warf einen Blick auf das Foto eines ausgebrannten Autos, in dem drei Opfer israelischer Hubschrauberraketen lagen; die bärtigen Gesichter waren vom Todeskampf widerlich verzerrt, die leeren Augen starrten an der Kamera vorbei. Soll das etwa die richtige Stimmung fürs Gebet erzeugen?, dachte er.
Er schlüpfte aus seinen Schuhen und schob sie in ein hölzernes Schuhschränkchen, das von den Sohlen der letzten Gläubigen noch nass war.
Am Ende des Flurs hing eine Tabelle mit den Gebetszeiten, auf der die Abfolge der Andachten wie auf einer eng bedruckten Logarithmentafel aufgelistet war. Die Zeit für die jeweiligen Gebete rückte dem Mondkalender entsprechend täglich um ein oder zwei Minuten vor. Chamis Sejdan klopfte mit den Handknöcheln gegen den Aushang. »Ich weiß gar nicht, wie sie überhaupt noch Zeit für etwas anderes finden«, sagte er. »Ich kann mir nur ein paar Dinge vorstellen, die es wert sind, fünf Mal am Tag getan zu werden, aber Beten gehört nicht dazu.«
Hinter der Tür umgaben niedrige Stühle ein großes, kreisrundes Wasserbecken, das mit künstlichen Jade- und Marmorfliesen ausgelegt war; hier konnten sich die Gläubigen setzen und sich vor dem Gebet Füße, Hände, Ohren und Nase waschen. Chamis Sejdan öffnete einen der Kupferhähne und spülte sich mit der Hand Wasser in den Mund. Er wischte sich den Schnauzbart und sah sich in der engen Moschee um. »Glaubst du, dass das unser Mann ist?«, sagte er.
Omar Jussuf blinzelte ins matte Licht der muschelförmigen Glaslampenschalen an der Wand. Der Keller war weiß gestrichen, und der Teppich war grau mit diagonalen, grünen Streifen. Am hinteren Ende befand sich eine Nische, die mit dem gleichen Kunstmarmor verziert war wie das Wasserbecken, sowie der Stuhl, von dem aus der Imam seine Predigt hielt. Auf dem Boden neben der Nische saß ein dunkler Mann von Anfang dreißig, der den Kopf gegen die Wand lehnte und die Füße ausgestreckt hatte.
Als sie auf ihn zukamen, legte der Mann die Hand aufs Herz und neigte den Kopf. »Friede sei mit Ihnen«, flüsterte er heiser und leise mit palästinensischem Akzent.
»Und mit Ihnen Friede«, sagte Omar Jussuf. »Sind Sie Hochwürden Nahid?«
Der Mann hob bescheiden die Hände. Er trug eine helle Baseballjacke aus Wildleder, ausgebeulte Jeans und weiße Socken. Eine blaue Strickmütze war tief auf seine Augenbrauen und über die Ohren gezogen. Sein Bart war glatt rasiert bis auf eine dünne Linie entlang des Kieferknochens und um den Mund herum, als ob er lediglich das Gerüst bildete, von dem aus später einmal ein Bart errichtet werden sollte. Eine kleine blasse und haarlose Narbe auf einer Augenbraue verlieh seinen Augen einen kampfeslustigen Ausdruck.
»Fühlen Sie sich so, als seien Sie mit Ihrer Familie in Ihrem eigenen Heim«, murmelte Nahid Hantasch.
»Ihre Familie ist mit Ihnen.« Omar Jussuf setzte sich vor Hantasch auf den Boden. »Bruder Nahid, ich bin der Vater von Ala Sirhan, einem Freund Nisar Jados.«
»Ah, Nisar, möge Allah ihm gnädig sein.«
»Möge Allah Ihnen ein langes Leben schenken.«
»Ich habe Ihren Sohn kennengelernt.«
»Hier in der Moschee?«
Hantasch lächelte nachsichtig. »Sie brauchen weder so zu tun, als sei Ihr Sohn religiös, noch müssen Sie den Koran zitieren, um mir zu gefallen, Ustas . Wenn Sie Alas Vater sind, müssen Sie aus dem Lager Dehaischa kommen. Ich kenne es gut. Sie und ich sind durch unseren Kampf für die Befreiung des islamischen Landes von der Besatzung miteinander verbunden. Das ist alles, was zählt.«
»Ich habe Ihre Poster im Flur gesehen.«
»Selbst wenn wir Tausende Meilen von zu Hause entfernt sind, müssen wir doch immer noch unsere Rolle spielen.«
»Das hat in der Tat mehr mit Rollenspielen zu tun als mit der Realität.«
Hantasch zuckte überrascht mit dem Kopf.
»Diese Plakate haben in einem Haus der Andacht nichts zu suchen«, sagte Omar Jussuf. »Solche Bilder tun der Seele nicht gut. Das ist krank.«
»O Allah«, seufzte Chamis Sejdan.
»Sie zeigen die Wahrheit«, sagte Hantasch. »Tatsachen.«
Omar Jussuf hatte seine Frustrationen an dem jungen Iraker auf der Straße ausgelassen, aber er konnte es sich nicht leisten, auch mit Hantasch so rüde umzuspringen. Beruhig dich, Abu Ramis, sagte er zu sich selbst. Du musst diesen Mann auf deine Seite bringen . »Was meinen Sie denn, was ein Amerikaner sagen
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