Der Aufgang Des Abendlandes
von ihnen,« so heißt es in diesem Hochland des Genies:
»Für mich sind hohe Alpen ein Gefühl.« Ja, höchstgesteigertes Lebensgefühl ist Jesureich.
Buddha sprach über das sichtbare Leben nicht das letzte Wort, daher auch nicht über das Unsichtbare. Wohl nennt man
Willensanstrengung der Ichverneinung fälschlich Willensverneinung, doch jedes Lebensprinzip sah er mit scheelen Augen
an. Was aber auf so sicherem Grunde ruht, läßt sich nicht entwurzeln. »Nur der verdient die Freiheit und das
Leben, wer täglich sie erobern muß.« Auf dies gewaltige Goethewort hört, wer über Buddha
hinausstrebt, Jesusapotheose bildet den Übergang zu neuem Wissen. Materialismus ist weder Wissen noch neu.
Schon einige alte Inder formulierten ihn, doch hatten sie noch intellektuelle Reinlichkeit genug, nicht Kraft für
Stoffeigentum und Energetik für Mechanistik zu halten. Außerhalb der Identität von Mind und Matter (im
englischen schälen sich beide Begriffe klarer heraus, weil das deutsche »Geist« zugleich spirit bedeutet)
sprachen sie dem »Selbstsein, dem verborgenen Meister« Sonderexistenz zu, die im Unterbewußtsein unbewegt
den Schein des Ichlebens betrachtet, teilnahmslos für alles sichtbar sich Bewegende. (Mit dem Namen transzendentales Ego
wollen wir hier nicht rechten, von Ego dürfte man nur reden, wenn man die Weltseele als ein Oberego betrachtet,
worüber man sich verständigen kann.) Jedenfalls gibt jener altindische strenggefaßte Materialismus zu,
daß Atman der Weltodem sich nicht ins Ichhirn einsperren und der verpönte Vedantabegriff Seele in anderer
Begriffsfassung nicht vermeiden läßt, weil er eben dem Reich des Unsichtbaren angehört.
Auch Schopenhauers Pessimismus mündet gelegentlich in verschämten Optimismus, seine Abhandlung »über
anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des einzelnen« verrät, daß er diese Cardanosche Vorsehung
keineswegs für scheinbar hält. Es ging ihm eben wie dem alten Kant, nachträglich dämmerte ihm tiefere
Erkenntnis, ohne daß sein Hauptwerk etwas spüren läßt. Wir begrüßen verwundert dies
Anzeichen, daß jeder Denker zur Einsicht des Planmäßigen kommen muß, sobald er genügend Erfahrung
sammelt. Dies zerstört natürlich den Pessimismus wie den Materialismus, doch gibt's noch manche harte Nuß zu
knacken, ob Leid und Unglück tatsächlich zu individueller Läuterung bestimmt und als gerechte Vergeltung zu
betrachten seien. Schopenhauer berief sich meist irrig auf Buddha, unfreiwillig knüpft er an Jesus an, geht sogar
über dessen Seelenbefreiungslehre schwärmend hinaus. Denn unter Aufgeben seines sonstigen Kausaldeterminismus
hält er »Gnadenwirkung und innere Wiedergeburt« für spontanen freien Akt, mit gleicher Verschwommenheit
wie Schelling: »Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit, diese wollen wir als letzte Ursache der
Dinge.« Aber »an sich selbst nicht-gebunden-sein des absoluten Geistes« kann es nicht geben, solange er
materialisiert. Umkehr des alten Adam und Neugeburt der Willensrichtung sind Kausalfolge präexistenter Vorbestimmung,
determiniert wie alles andere. Wenn R. Mewes »Kriegs- und Geistesperioden im Völkerleben« aus Sonnenflecken
ableitet, ist dieser physikalische Determinismus sich wohl selber klar, ob er mystisch oder mechanistisch gemeint? Es zeigt
wieder die Gedankenlosigkeit der Naturforschersippe, wenn sie den alten Aberglauben verhöhnt, Kometen bedeuteten Krieg
und Pestilenz, obschon jedes astronomische Lehrbuch manche Belege liefert und zweimal Auftreten schreckhafter Kometen
große gewaltsame Umwälzung anzeigte: Vor 1812 und der Hastingsschlacht. Wissenschaft haßt eben alles, was
auf mystischen Weg führen könnte. Wahrscheinlich begünstigt Frühlingssonne geistige Empfängnis,
Hundstaghitze Temperamentwallungen wie Kriege und Verbrechen, doch natürlich nur, wenn psychische Grundlagen dazu
gegeben. Periodizität kosmischer Einflüsse auf die Erdatmosphäre wie des Mondes auf Ebbe und Flut ist
gewiß nicht abzuweisen, doch Physikalisches kann nur Physisches beeindrucken. Buddha würde lächeln
»törichter Mensch«, wollte man ihm aufschwatzen, daß Sonnenflecken die psychische
Aufnahmefähigkeit für das Heil bestimmen. Ließe sich aber Parallelismus von Planeten- und Erdvorgängen
nachweisen, so kommt dies natürlich nicht psychisch in Frage, falls nicht den beobachteten physikalischen
Veränderungen eine psychische Planetenbewegung zugrunde liegt. Das ist
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