Der Aufgang Des Abendlandes
Zukunft unendlich sein, während der
kirchliche Gegenwartsglaube sich nur zu Zukunft ohne Vergangenheit bekennt, eine sinnlose Synthese. Kabbalasprüche
für Golems und Homunkuli raunen umsonst: Es lebe das Leben! Künstlich erzeugtes Chemikum beherbergt keine
Elektronen, das wäre übertünchtes Grab, wandelnder Tod. Doch was ist der Punkt Tod im Nebeneinander
äußerlicher Verfallsymptome? Schon für Aristoteles sind Lebensprinzip und Seele das gleiche. Deren
Eigenschaften in aufsteigender Linie von der Pflanze her seien Wachstum, Begierde, Sinneswahrnehmung, Bewegung, Vernunft.
Bacon plagiert dies in seiner konfusen »Naturgeschichte«, wobei er Sense und Motion hin und her wendet, dagegen
erinnert Hamlets Spruch: »Sense sure you have, else you would not have motion« mehr an die Aristotelische
Urquelle. [Fußnote]Oder es stimmt auch hier der treffende Spott eines englischen Kritikers, daß Shakespeares
Verse über Attraktion und Blutkreislauf klarer und präziser seien als Bacons unbestimmte Winke. Wenn Perditas
Frühlingsblumenkatalog dem in Bacons »Essay on Gardens« gleicht, was wir den Baconiern als müde Gabe
schenken, so kann der Schulpedant solche Naturbeobachtung recht wohl anders woher bezogen haben. Es tut nicht gut, heute
über solche Kategorien zu lächeln. Daß Bewegung erst nach Sinneswahrnehmung folge und beiden Begierde (Wille)
vorausgehe, dann Vernunft aus Bewegung, ist kaum konfuser gedacht, als wenn Schopenhauer und verkappt noch manche andern den
Willen ganz vornean setzen, so daß er allein das organische Wachstum bestimmt, oder wenn Mechanisten die Vernunft
gleichsam als Bewegung der Wahrnehmung auffassen. All solche Definitionen enthalten ein Körnchen Wahrheit, nur daß
unbedingt Bewegung in aller Materie das Primäre sein muß, alles übrige sind Bewegungsformen. Die zwei
Hauptfaktoren aber, Bewegung (Energie) und Vernunft (Psyche), sind im Grunde eins, Bewegung als stofflose Energie und Psyche
als Bewegung des Phänomenalbilds. Jede Einzelsonderung von Lebensattributen bleibt unfruchtbares Beginnen, denn alle
sind sofort da: Bewegen, Wachsen, Wahrnehmen, Wollen als der gleiche Vorgang. Wer Bewegung sagt, meint Leben, wer Leben
meint, sagt Seele, wer Seele sagt, meint Weltseele.
Verfehlt bleibt stets, das Christentum mit philosophischen Begriffen auszustatten, wie es Deussen in einem Bekenntnis
beliebt. Vier Fundamentalwahrheiten verdanke Christo die Philosophie? Das erste – man höre und staune! – sei
»Determinismus«, nämlich »die Früchte können nicht anders sein als der Baum«, der
allbeherrschende Egoismus, die wahre Ursünde. Wahr, aber Christentum redet noch heute von freiem Willen, Deussen selber
tat dies an anderer Stelle. Zweitens »in scheinbarem Widerspruch hiermit« der kategorische Imperativ? Das ist
keine »Wahrheit«, da jeder Imperativ ausschließlich von Beschaffenheit der verschiedenen Iche abhängt,
es gibt auch den unsittlichen Imperativ, der dem Schuft kategorisch befiehlt, schuftig zu handeln. Weil man diese Unfreiheit
nicht leugnen kann, so sei die dritte Wahrheit »die Lehre von der Wiedergeburt«? Verwirrender Ausdruck nur
für Umwendung des Willens, der hier plötzlich wieder Freiheit hat, sich von Gott umwandeln zu lassen. Meint Paulus
dies: »Gott ist's, der in euch wirkt das Wollen und Vollbringen«? Wie könnte Gott durch plötzlichen
Eingriff die Kausalität unterbinden! Was Deussen viertens Monergismus nennt, wonach dem Menschen selber keine Mitwirkung
bei sittlicher Wiedergeburt eingeräumt, sondern alles Gottes Gnadenwahl wird, so rettet Deussen sich vor
»Absurdität der Prädestination«, die er im obigen doch selber anerkennt, ins Indische: Daß Gott
nicht außer uns, sondern unser eigener Atman sei, unser Ding-an-sich, das dem Ich, seiner irdischen Erscheinung, die
Kraft gibt, dem kategorischen Imperativ zu folgen. Was soll uns das? Damit erregt man Entsetzen bei Christen und Lachen bei
Denkern, wenn Determinismus in allgemeinen sittlichen Imperativ, in willkürliche Wiedergeburt von Gottes oder eigenen
Gnaden hineinpurzelt. Uns rührt auch nicht, wenn z. B. Pasteur als gläubiger Christ starb. Wer Wissenschaft und
Kirchendogmen, denen er sich unterwirft, für getrennte Gebiete hält, verrät nur mutlose Schwäche, da ist
uns ein aufrichtiger Materialist noch lieber. Nur wenn Flammarion, Sciaparelli, Lombroso, Crookes, Wallace als Theosophen
reden, verbinden sich Religion und Naturkunde, jede andere
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